Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
die konnte sie lange warten.
„Arroganter Kerl! Weißt du, womit ich meine Zeit verschwende? Mit dir. Schönen Abend noch.“
Sie machte Anstalten aufzustehen, um an der Bar zu bezahlen. Zeit, ihr Selbstbewusstsein wieder ein wenig zurechtzustutzen. Er griff in einer raschen Bewegung nach ihrer Hand und legte diese auf seinen Unterarm, der sie so fasziniert hatte. Ihre warme Haut bedeckte die Symbole, die für seine Erschaffung standen. Ihr Interesse kehrte zurück, vermischt mit Unsicherheit und etwas Furcht. Unwiderstehlich. Ohne darüber nachzudenken nahm er alles an sich, was er bekommen konnte, ehe sie ihre Emotionen wieder schützend abschottete. Der Schatten in ihm schnurrte wie ein zufriedener Kater. Ihr Gesicht wurde ausdruckslos, der Blick leer. Sie schüttelte leicht den Kopf und rieb sich die Stirn.
„Ich … möchte jetzt wirklich gehen“, sagte sie leise. „Ich fühle mich nicht gut.“
Das konnte er sich vorstellen. Er fühlte sich fantastisch. „Du siehst müde aus.“ Erneut streckte er die Hand nach ihr aus. Sie war zu langsam, um zurückzuweichen und er strich über eine fein geschwungene Augenbraue und die Schläfe. Platzierte eine psychedelische Bombe in ihrem Geist. Einen Traum, der es ihm erleichtern würde, sein Ziel zu erreichen. Zu wissen, was sie in dieser Nacht sehen würde, erregte ihn mehr, als gut war. Er riss sich jedoch zusammen. Morgen früh schon würde sie sich nach seiner Nähe sehnen. Wann er sie erlöste war allein seine Entscheidung.
„Fahr nach Hause und schlaf dich aus“, sagte er und zwang sich zu einem sanften Lächeln. Sie nickte, stand auf und verabschiedete sich, ohne nach einem weiteren Treffen zu fragen. Bald würde sie das bereuen. „Und träum was Schönes.“
Nicholas drehte den Stuhl ein wenig in Richtung Kellnerin. Sie war längst nicht so hübsch, besaß nicht diese frech ins Gesicht fallenden Locken und bot bei Weitem nicht eine solche Fülle an Gefühlen. Aber er war angeheizt und wollte mal sehen, was bei ihr zu holen war.
Erschöpft, als wäre sie seit Tagen ohne Schlaf gewesen, ließ Joana sich auf ihr Bett fallen. Die Erinnerungen an den Abend brodelten in ihr, pochten von innen gegen ihre Schläfen. Seine Worte hallten echoähnlich in ihrem Schädel wider, als sei ihr Kopf ansonsten vollkommen leer. Sie verstand sich selbst nicht mehr. Dieser Mann hatte Furcht in ihr geweckt, Trotz, dann eine verstörende Faszination und schließlich war er ihr egal gewesen. So egal wie alles andere. Dass sie in Kleidern im Bett lag störte sie nicht. Sie hatte noch etwas essen wollen, aber es war ebenso bedeutungslos, wie sich die Zähne zu putzen oder das Makeup aus dem Gesicht zu waschen.
Aber war das so ungewöhnlich? Radikale Stimmungsschwankungen und Antriebslosigkeit waren vermutlich nur weitere Zeichen dafür, dass sie depressiv wurde. Sie vergrub das Gesicht im Kissen und schluchzte auf, doch es kamen nicht mal Tränen. Nur Leere. Sie verlor sich selbst und konnte nicht mal mehr darüber weinen. Sie hätte gerne Wut verspürt, Angst oder auch Verzweiflung über diesen Zustand, der immer weiter Besitz von ihr ergriff. Aber es kam nichts. Sie war nur müde. Unendlich müde.
„Was machst du hier?“ Entsetzt richtete sich Joana im Bett auf und zog das Laken über die Brust. Sie war nackt. Warum war sie nackt? Sie schlief nie nackt. „Verschwinde! Raus hier!“
Der Fremde, Nicholas hieß er, was ihn nicht weniger fremd machte, trat ungerührt näher. Seine Schritte verursachten kein Geräusch auf dem Laminat. Panik jagte wie eine eisige Welle durch ihren Körper.
„Was willst du? Und wie bist du reingekommen?“
Sie bekam keine Antwort. Er lächelte nur, wissend und selbstbewusst. Im Gegensatz zum Abend zuvor lag seinen Zügen kein Spott mehr inne. Er hob den Zeigefinger an die Lippen. Joana schluckte den nächsten Schrei herunter. Er lächelte und sein Finger glitt an seinem Mund herab, zog seine Unterlippe leicht abwärts. Ihre Augen klebten an seinen Lippen und sie wünschte, es wäre ihr Finger, der sie berührte. Er ließ sich auf der Bettkante nieder, ohne dass die Matratze sich unter seinem Gewicht bewegte. Seine Fingerspitzen fanden ihren Handrücken und zeichneten erneut glühende Muster. Der Drang, über die Stellen zu reiben, war überwältigend, aber Joanas Körper blieb steif und schwerfällig. Er hob ihre Hand an, legte die Kuppe ihres Zeigefingers auf seine Lippen, als hätte er ihren heimlichen Wunsch in ihren Gedanken gelesen.
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