Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
freundschaftlich auf die Wange zu küssen? Sie nestelte stattdessen an den Schnallen ihrer Sandalen.
„Immer gerne“, erwiderte Benedikt und grinste. „Ich freu mich, dass du endlich mal Zeit gefunden hast. Wonach ist dir? Horrorthriller oder Romantikkomödie?“
„Thriller.“
Ben hatte sich sicher die andere Antwort erhofft. Joana fürchtete im Stillen, dass er sich mehr als eine platonische Freundschaft von ihr wünschte. Hoffentlich nicht, denn diese war definitiv noch nicht stabil genug, um die unweigerliche Abfuhr zu verkraften, die einer Frage nach mehr folgen würde. Er murmelte etwas, das wie ‚war klar’ klang und fädelte sich in den Verkehr ein. Joana griff nach der BILD, die auf dem Armaturenbrett lag und blätterte nach den Comics.
„Hast du’s schon gehört?“, fragte er und raufte sich das blonde Haar. „Sie haben wieder eine Leiche gefunden, inzwischen die dritte. Erstochen. Steht direkt auf der Titelseite. Diesmal war es ein junger Mann. Die Polizei geht jetzt von einem Serienkiller aus.“ Er schüttelte sich. „Gruselige Vorstellung, dass der Kerl in Hamburg herumrennt. Stell dir vor, du begegnest ihm! Stell dir vor, er steigt bei dir ein und …“
Joana verspürte Gänsehaut im Nacken, doch sie ließ sich nichts anmerken und seufzte. „Ben. Hamburg hat fast 1,8 Millionen Einwohner. Unwahrscheinlich, dass gerade dieser Mörder ausgerechnet in dein Taxi steigt, oder? Eher gewinnst du im Lotto.“
Sie schmunzelte. Benedikt sah sich bei allen möglichen Katastrophen und Horrormeldungen immer sofort als potentielles Opfer. Zudem war er ein schrecklicher Hypochonder. Fatal für einen Taxifahrer, der ständig mit kranken oder gebrechlichen Menschen zu tun hat. Oder potentiellen Massenmördern. Sie kannte seine paranoide Art nun schon mehrere Jahre.
Mäßig interessiert überflog sie die Schlagzeile und den Artikel. Hamburgs Ripper, nannten sie ihn. Zwei junge Frauen und ein Mann waren getötet worden. Die Mordwaffe war ein Messer gewesen, vermutlich immer dasselbe. Den Opfern waren damit mehrere Verletzungen zugefügt worden, ehe der Mörder sie durch einen Stich ins Herz getötet hatte. Die Polizei tappte noch im Dunklen.
‚Eine Stadt versinkt in Angst. Erst wenn dieser barbarische Schlächter hinter Schloss und Riegel sitzt, wird Hamburg wieder aufatmen können’, endete der Artikel.
Sie verdrehte die Augen, ob dieser reißerischen Berichterstattung. Panikmache war ein höchst effektives Mittel, um die Auflagen in die Höhe zu treiben. Serienkiller waren bei den Zeitungen vermutlich noch begehrter als Drogenexzessen frönende Königssöhne oder elend dahinsiechende Rockstars. Sicher entsprach nicht die Hälfte dieser Meldungen der Wahrheit. Wahre Morde dagegen wurden teilweise nur bei den Randnotizen erwähnt, solange sie nicht als Eye-Catcher taugten. Sie hatte da ihre eigenen Erfahrungen.
Einer gewissen Unruhe konnte sie sich jedoch nicht erwehren. Sie dachte an den Mann, der Nicholas am Abend zuvor hinterhergeschlichen war.
„Nicht lieber doch eine Romanze?“, riss Ben sie aus ihren Gedanken und lenkte seinen Wagen ins Parkhaus unter dem Kinokomplex.
Sie seufzte. „Was hältst du von Harry Potter?“
Die Tür des Hotelzimmers schloss er leise hinter sich, soweit hatte er sich noch im Griff. Doch dann entwich dem Whiro in Alexander Meyers trotz seiner menschlichen Hülle ein so höllisches Knurren, dass augenblicklich der Blumenschmuck auf dem Tisch verwelkte und das elektrische Licht flackerte. Er war wütend. Abgrundtief wütend.
Alles war umsonst gewesen. Die ganze Reise in dieses vermaledeite Wales. Monate waren für die Recherche verschwendet worden, eine knappe Million Euro für die richtigen Informationen und noch mehr Geld für die Ausgrabungen. Sie hatten Menschen gekauft, manipuliert und wenn nötig aus dem Weg geräumt. Dämonen waren bestochen oder bedroht worden. Einigen seiner Art hatte er jede Menge Honig ums Maul schmieren müssen. War ihnen in den Arsch gekrochen – für nichts und wieder nichts!
Der Zorn bebte so stark in ihm, dass der Körper zu schmerzen begann. Der Schattenleib versuchte, seine Hülle gewaltsam zu sprengen. Er wollte durch das Fleisch brechen, um seine Wut bar jeder Hemmung an dieser verfluchten Stadt auszulassen.
Alles umsonst. Die geheime Kammer, die sie in dieser Grotte in den Moelwyn-Bergen freigelegt hatten, war leer gewesen.
Es klopfte an der Tür und Erwartung erfüllte ihn. Egal wer da kam, er kam genau richtig.
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