Nyx - House of Night: Das Begleitbuch (German Edition)
die Unterwelt, und jene, die es wagten, galten als Helden. Wer, wenn nicht ein Held, konnte es wagen, das Land der Toten zu besuchen?
Eine der berühmtesten Geschichten über einen solchen Besuch der Unterwelt kommt in Homers
Odyssee
vor, der Sage von König Odysseus’ zehn Jahre dauernder Rückkehr in seine Heimat. Nachdem er bereits zehn Jahre damit verbracht hat, gegen die Trojaner zu kämpfen, ist er bereit für die Heimreise in sein Königreich, zu seiner ihm treu verbundenen Gemahlin. Doch es läuft nicht alles nach Plan, und auf ein Hindernis folgt das nächste. Die Hexe Circe, der er unterwegs begegnet, rät ihm, den Rat eines weisen Sterblichen einzuholen, aber da der Besagte bereits verstorben ist, muss Odysseus in die Unterwelt reisen, um ihn zu finden. Er lässt seine Mannschaft die Segel setzen und nimmt Kurs auf die Grotte von Tainaron, einem Eingang zur Unterwelt. Dort bringt Odysseus ein Opfer für Hades, den Gott der Unterwelt, dar: ein Böcklein und ein schwarzes Schaf. Als sich ihr Blut in einen Graben ergießt, ruft Odysseus die Geister zu sich und bittet sie, ihn am Eingang der Grotte zu empfangen. Der weise Sterbliche gibt ihm den gewünschten Rat, und Odysseus kann darüber hinaus mit anderen hilfsbereiten Dahingeschiedenen sprechen, doch dann schickt Persephone, die Königin der Unterwelt, ein paar weniger freundliche Geister zu der Höhle, und er muss sich eilig verabschieden.
Einen ersten Blick in die Anderwelt der Nyx werfen wir bereits im ersten Band. Zoey, frisch als Jungvampyrin Gezeichnet, gerät in Panik und fährt zu ihrer Großmutter, um sie um Hilfe zu bitten. Dort erscheinen ihr die Geister ihrer Cherokee-Ahnen und sie flieht, denn sie glaubt, dass sie ihren Tod bedeuten. Dabei stürzt sie auf den Kopf und verliert das Bewusstsein. Ihr Blut sickert in eine Spalte im Boden, und plötzlich hört sie die Stimme einer Frau, die sie ruft. Da sie Grandma Redbird dort vermutet, stürzt sie sich als Geist in den Spalt und findet sich in einer Grotte mit einer Quelle wieder, in der sich ihr Blut mit dem klaren Wasser mischt. Anders als Odysseus besucht Zoey die Höhle nicht willentlich. Sie weiß nicht, dass sie Teil der Anderwelt ist. Sie hat sich zwar auf die Reise gemacht, um ihre weise Großmutter um Rat zu fragen, aber sie hat nie daran gedacht, Unterstützung in der Geisterwelt zu suchen. Dennoch gibt es eine Parallele zwischen der Grotte von Tainaron und der Grotte, in der Zoey zum ersten Mal Nyx begegnet. Beide sind Verbindungen zur anderen Seite, zum Land der Göttinnen und Götter und zum Schattenreich der Toten. Und bei beiden verschafft man sich mithilfe von Blut Zutritt. Höhlen spielen eine wichtige Rolle in den griechischen Mythen rund um die Unterwelt. Sicher sahen die Griechen der Antike in ihnen Tore zum Totenreich in der Tiefe.
Der Begriff Unterwelt war bei den Griechen wörtlich zu verstehen – die Welt unter der Erde. Wenn ein Mensch starb, wurde sein Geist auf einem langen gewundenen Pfad ins Innere der Erde geleitet, bis er zum Fluss Acheron gelangte, wo er den Fährmann Charon bezahlen musste, der ihn hinüber zur Unterwelt fuhr. Homer schildert diesen Abstieg in der
Odyssee
:
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte ihre Pfade. Und wir erreichten des tiefen Stroms Okeanos Ende. Allda liegt das Land und die Stadt der kimmerischen Männer, Immer gehüllt in Nacht und Nebel 80
Die Anderwelt der Nyx ist dagegen eher ein spiritueller Ort: Er liegt nicht in dieser Welt sondern in einer anderen. Um die Anderwelt zu betreten, können Sterbliche nicht einfach einen Zugang aufsuchen und ins Erdinnere hinabsteigen, wie es in der griechischen Mythologie funktioniert. Um in die Anderwelt der Nyx zu gelangen, muss sich der Geist vom Körper lösen. Um Kalonas Vertreibung aus der Anderwelt zu schildern, verwendet Grandma Redbird in
Ungezähmt
das Wort „fallen“. Somit scheint die Anderwelt, wenn sie überhaupt ein Ort ist, eher oben als in der Tiefe angesiedelt zu sein.
Was wissen wir noch von der Unterwelt der Griechen? Sie war sehr weitläufig und in drei Bereiche eingeteilt, denen unterschiedliche Bewohner zugewiesen waren. Die Felder von Asphodel waren für die Seelen ganz gewöhnlicher Menschen bestimmt, die weder gut noch besonders böse gewesen waren. Im Tartarus endeten alle, die Strafe verdienten und das Elysium hieß die Helden und die Tugendhaften willkommen. Das Elysium wird als freundlicher, heller und grüner Ort dargestellt, an dem ewiger Tag herrscht.
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