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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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links. Der
     Hintergrund war weiß, und außen, um die Sperrholzkante herum hatte der Künstler einen schwarzen Rand als Rahmen gemalt. Ein
     Flaschenöffner diente als Aufhänger. Der Mann lachte – zwei Reihen weißer Tupfen   –, und auf seinem Kopf klebte etwas, das wie graue Baumwolle aussah. Auf der Rückseite des Sperrholzes standen die Lettern
     »ME«, das E zeigte ebenfalls nach links. Was ich hier in Händen hielt, war, soviel wußte ich, ein original Abraham, ein Bild
     von Alabamas berühmtestem Folk-Art-Talent.
    Mir liefen die Tränen herunter. »Mein Gott, Bonnie Blue. Das ist unglaublich!«
    Sie lächelte stolz. »Gefällt es dir?«
    |13| »Ob es mir gefällt? Ich kann es nicht fassen. Ich habe vor Jahren ein kleines Bild von ihm von Kindern in einem Bus gekauft,
     aber mittlerweile sind seine Werke für mich unerschwinglich.«
    »Er ist mein Vater«, sagte Bonnie Blue.
    »Abraham ist dein Vater?«
    »Abraham Butler. Das ist mein Daddy.« Bonnie Blue zeigte auf das Haarbüschel auf dem Bild. »Siehst du das? Das ist sein eigenes
     Haar. Ich sagte: ›Daddy, das ist für eine Freundin von mir‹, und da erwiderte er: ›Reich mir die Schere, Bonnie Blue.‹«
    Ich wischte mir die Augen mit einer Serviette und hielt das Bild vor mich hin. »Das ist das schönste Geschenk, das ich je
     bekommen habe«, sagte ich. »Ich werde es wohl mit ins Bett nehmen müssen.«
    »Hm, paß aber auf die Haare auf. Ich weiß nicht, wie gut sie befestigt sind. Daddy benutzt alles, was ihm gerade in die Hände
     fällt.«
    »Das ist ja das Besondere daran«, sagte ich. »Ich werde es hüten wie meinen Augapfel.«
    Bonnie Blue knüllte die Verpackung zusammen.
    »Abraham ist also der Mann, den ›Vom Winde verweht‹ so mitgerissen hat, daß deine Mama mit dir schwanger wurde.«
    »Ich hab’ ja noch Glück gehabt. Die Namen meiner Schwestern sind Myrtice, Viola und Gladys.«
    Ich hielt das Bild noch einmal vor mich hin.
    »Er muß den Stock jetzt ständig benutzen«, sagte Bonnie Blue. »Manchmal auch eine Gehhilfe. Aber er geht nach wie vor unter
     die Leute. Dabei ist er immerhin vierundachtzig.«
    »Ich würde ihn gern mal kennenlernen«, sagte ich.
    »Das läßt sich jederzeit einrichten. Er sitzt den Großteil des Tages da und malt und hält uns damit auf Trab, daß wir das
     Zeug auftreiben müssen, das er dann bemalt.«
    |14| »Mary Alice wird tot umfallen«, sagte ich. »Ich gehe heute abend zur Eröffnung einer Galerie für Folk-Art.«
    »Redest du von der neuen Galerie von Mercy Armistead?«
    »Ich glaube, ja. Warum?«
    »Wir werden auch da sein. Mein Bruder James und ich nehmen Daddy dorthin mit.«
    »Das ist ja wundervoll«, sagte ich. »Dann sehen wir uns dort.«
    »Für Mary Alice habe ich ebenfalls ein Bild.«
    »Sind da auch echte Haare drauf?«
    »Nein.«
    »Gut.«
    In diesem Moment kam unser Essen, und wir bestrichen beide zwei Orangenbrötchen mit Butter. Kaum hatte ich jedoch den ersten
     Bissen von meinem Hühnersalat gegessen, nahm ich einen bedrohlichen Schatten über mir wahr. Ich sah hoch und blickte auf die
     blinkende Brust von Mrs.   Santa.
    »Was macht ihr beide denn hier?« fragte Mary Alice.
    »Mittag essen«, erwiderte ich. Ich bin mir nicht sicher, ob Bonnie Blue wirklich glauben konnte, daß dies Mary Alice war.
     Sie saß da wie versteinert, die Gabel auf halbem Weg zum Mund erstarrt.
    »Ach Quatsch. Du hast Bonnie Blue hierhergeschleppt, damit sie mich in diesem Aufzug sieht, gib’s doch zu. Aber keine Sorge,
     das kratzt mich nicht weiter. Ich gewöhne mich nämlich allmählich dran.« Mary Alice zog sich einen Stuhl heran und nahm sich
     ein Brötchen. »Ich bin am Verhungern. Bill wird andauernd wegen Ladendiebstahl verhaftet. Die Hälfte der Kinder von Birmingham
     wird ein lebenslanges Trauma davontragen, wenn der Sicherheitsdienst nicht damit aufhört, den Weihnachtsmann festzunehmen.«
     Sie biß in das Brötchen. »Hi, Bonnie Blue.«
    »Was klaut er denn?« wollte ich wissen.
    |15| »Nichts, Patricia Anne. Bill ist kein
Dieb
. Irgendwas an seinem Kostüm löst jedesmal, wenn er durch die Toilettentür geht, Alarm aus. Der Arme ist schon völlig verstört.«
    Bonnie Blue starrte auf die Brust von Mrs.   Santa Claus. »Ist er auch elektrisch beleuchtet? Vielleicht ist das der Grund?«
    »Nein, es ist ein Etikett irgendwo an seinem Kostüm. Ich habe ihm schon gesagt, er soll einfach nicht mehr in die Waschräume
     gehen. Aber er schwitzt so.« Mary Alice erspähte mein

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