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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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muß ich noch ein Orangenbrötchen essen«, sagte sie.
    Ich liebe Einkaufszentren in der Weihnachtszeit. Das Rosedale Center war besonders hübsch mit seinen lichtfunkelnden Weihnachtsbäumen
     zu beiden Seiten der breiten Passage im ersten Stock und auf der Galerie im zweiten. Der Sessel des Weihnachtsmanns stand
     mitten in dem Hof mit den Lebensmittelläden, und jede Menge Kinder rannten umher und |18| warteten darauf, daß Santa Claus vom Füttern seines Rentiers zurückkehrte. Es war voll, aber nicht so voll, wie es eine Woche
     später sein würde. Ich hatte keine Probleme, das Bild durch die Menge hindurchzumanövrieren.
    Bonnie Blue und ich gingen zu Macy’s, und ich steuerte auf die Mantelabteilung zu.
    »Hoffentlich haben sie ihn noch«, sagte ich.
    Sie hatten. Ein weißer Trenchcoat aus leichtem Wollgabardine, ideal für unsere Südstaatenwinter. Ich hatte mitbekommen, wie
     Haley ihn sich begeistert im Weihnachtskatalog angesehen hatte, und dachte: Warum nicht? Es war jetzt zwei Jahre her, daß
     ihr Mann Tom gestorben war, zwei Jahre, in denen sie sich nur für ihre Arbeit als Schwester in einem O P-Team interessiert hatte, das auf Operationen am offenen Herzen spezialisiert war. In jüngster Zeit schien sie jedoch allmählich
     aus ihrem Schneckenhaus zu kriechen. Sie fing an, sich wieder für Kleider zu interessieren, und hatte sich sogar ein paarmal
     mit Sheriff Reuse getroffen.
    Ich blickte neuerlich auf das Preisschild; die Summe überstieg eindeutig mein Budget.
    »Der ist wunderschön. Welche Größe trägt sie?« fragte Bonnie Blue.
    »36.   Wie ich.«
    Bonnie Blue schüttelte den Kopf. »Daß du und Mary Alice Schwestern sein sollt, ist eigentlich unmöglich.«
    »Wir sind zu Hause geboren worden, Bonnie Blue.«
    »Bloß in wessen Haus?«
    »Ich sehe aus wie Mama, blond und klein, und Schwesterherz wie Daddy, groß und brünett.«
    »Mary Alice war brünett?«
    »Soweit ich mich erinnern kann – es ist schon eine Weile her.«
    Bonnie Blue nahm mir das Bild ab. »Probier den Mantel mal an«, sagte sie.
    |19| Er war exakt so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Der Stoff umschmeichelte meinen Körper genau an den richtigen Stellen,
     ganz wie er es bei Haley tun würde. Selbst auf mein mausgraues Haar fielen Glanzlichter.
    »Kauf ihn für dich selbst«, befand Bonnie Blue. »Das Ding ist ein Traum.«
    »Ich werde ihn mir einfach mal ausleihen«, sagte ich und zückte, ohne auch nur einen Moment länger zu zögern, meine Kreditkarte.
     Ich mußte noch sechzehn Geschenke kaufen und hatte mein Limit bereits überschritten. Gott, ich liebe Weihnachten!

|20| 2
    Ich fuhr durch die milde Frühwinterluft zurück. An den Bäumen hingen noch vereinzelte Blätter, und es waren nach wie vor ein
     paar letzte tiefrote und tieforange Farbtupfer zu sehen. Von Norden her war eine Kaltwetterfront im Anzug, die uns Regen bescheren
     würde. Aber noch war sie nicht da. Meine Schwester und ich haben unser ganzes Leben hier verbracht, und ich habe noch nie
     eine weiße Weihnacht erlebt. Das ist auch ganz gut so, wenn man bedenkt, was in Birmingham passiert, sobald auch nur ein paar
     Schneeflocken fallen. Der alte Vulcanus, der Gott der Schmiedekunst dort oben auf dem Red Mountain, blickt dann auf die eine
     Seite einer völlig paralysierten Stadt, und sein Hintern leuchtet über der anderen, nicht minder lahmgelegten Hälfte. Lichter
     erlöschen, Straßen sind unpassierbar. Wenn die Bürger dieser im tiefen Süden gelegenen Stadt ›White Christmas‹ singen, dann
     sind sie ganz zufrieden, wenn es beim Träumen bleibt.
    Ich hielt bei Piggly Wiggly an und nahm ein Brathähnchen und etwas fertig angemachten Salat mit. Ein paar Kartoffeln in die
     Mikrowelle, und das Abendessen wäre fertig. Wo waren all die Schnellimbisse und Salatbars gewesen, als ich noch unterrichtete
     und drei Kinder großzog? Damals fuhr ich nach der Schule nach Hause, um zu kochen. Natürlich gab es auch da ein paar Blitzrezepte.
     Meine Schwiegertochter Lisa will zum Beispiel unbedingt das Rezept für den Kirschkuchen haben, von dem Alan immer noch schwärmt,
     und ich geniere mich, ihr zu sagen, daß er aus einer Fertigbackmischung und einer Kirschkuchen-Füllung aus der Dose besteht,
     weshalb ich |21| ihr weiterhin weismache, ich würde mich im Moment leider nicht mehr genau an die Zutaten erinnern. Sie weiß, daß ich lüge,
     aber sie verzeiht mir, vielleicht weil sie denkt, es sei alles streng geheim, wie bei dem Rezept für

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