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Obduktion

Obduktion

Titel: Obduktion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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könnten sich tatsächlich die Überreste eines der verehrtesten Menschen der Geschichte darin befinden. Auf der Oberfläche waren unzählige, nicht zu entziffernde Kritzeleien. Als er sie endlich deuten konnte, ergab plötzlich alles einen Sinn.
    »Ich hatte gehofft, dort stünde ein Name«, sagte Sana enttäuscht.
    »Da steht ein Name!«, sagte Shawn. »Und ein Datum.« Er drehte das Ossuarium um, sodass die Inschrift nun für Sana gut zu lesen war. Sie schaute es an, erkannte aber nur die römischen Ziffern eines Datums: DCCCXV, das bedeutete 815. Langsam sah sie zu Shawn auf. Es schien, als seien all ihre Bemühungen umsonst gewesen.
    »Oh nein!«, jammerte sie. »Das verdammte Ding stammt aus dem Mittelalter!«

    Shawn lächelte vielsagend. »Bist du sicher?«
    Verwirrt sah sie wieder auf die römischen Ziffern, und wieder ergaben sie das Gleiche: 815. Sie musste Shawn klarmachen, dass sie versagt hatten. Wie sie gesagt hatte: Das Ding musste aus dem Mittelalter stammen.
    Shawn zeigte auf die römischen Ziffern und fragte: »Siehst du die lateinischen Buchstaben, die hinter den römischen Zahlen stehen?«
    Sana sah wieder auf das Datum. Aus dem Labyrinth von Kritzeleien hoben sich drei Buchstaben ab. »Ja. Sehe ich. Sieht aus wie AUC.«
    »Genau, da steht AUC«, sagte Shawn triumphierend. »Es steht für ab urbe condita, was sich auf das angebliche Gründungsjahr Roms bezieht, und das war, nach gregorianischer Zeitrechnung, 753 v. Chr.«
    »Ich bin verwirrt« sagte Sana.
    »Das musst du nicht. Die Römer hatten kein vor oder nach Christus. Sie benutzten AUC. Um den antiken, römischen Kalender in unseren gregorianischen umzurechnen, musst du 753 Jahre abziehen.«
    Sana fing an zu rechnen. »Dann wäre das Datum 62 n. Chr.!«
    »Richtig. Ich vermute, Simon Magus glaubte, dass die Jungfrau Maria 62 n. Chr. gestorben ist.«
    »Ich denke, das wäre eine logische Erklärung«, sagte Sana nickend und versuchte, sich daran zu erinnern, was in ihrem Katechismus gestanden hatte.
    »Das meine ich aber auch«, sagte Shawn. »Angenommen Maria hat ihr erstes Kind, Jesus, 4v. Chr. bekommen, als sie gerade mal fünfzehn Jahre alt war. Dann wäre sie einundachtzig gewesen, als sie starb. Das ist ein ganz schönes Alter für die damalige Zeit, aber unmöglich ist es nicht. Schau, hier steht außerdem noch ein Name.«
    »Ich sehe keinen«, sagte Sana, als sie wieder auf das
Durcheinander der Kritzeleien rund um das Datum starrte.
    »Hier. In Aramäisch, genau unter den römischen Ziffern.«
    »Ich kann wirklich keine Buchstaben erkennen.«
    »Ich zeichne sie dir auf, wenn wir wieder im Hotel sind.«
    »Na toll. Aber wessen Name steht da?«
    »Maryam.«
    »Oh mein Gott!«, flüsterte Sana. Etwas, woran sie schon lange nicht mehr geglaubt hatte, schien eingetreten zu sein.
    »Gute Wortwahl«, sagte Shawn fröhlich. »Lass uns das Ding zum Hotel zurückbringen, damit wir feiern können. « Mühsam beförderte er den Kasten Stück für Stück zu der Stelle unter der Glasdecke. Es war schwer, denn er konnte nicht aufrecht gehen.
    »Was ist mit den Werkzeugen und den Eimern?«, fragte Sana. »Wenn ich die trage, werde ich dir mit dem Ossuarium nicht helfen können.«
    Shawn kratzte sich am Kopf und nickte. Den fünfzehn oder zwanzig Kilo schweren Kasten könnte er zwar allein tragen, aber wegen der zahlreichen Stufen würde er viele Pausen benötigen. »Ich weiß«, sagte er. »Wir lassen sie da, damit auch zukünftige Archäologen noch etwas zu entdecken haben. Lass uns alles bis auf die Helme in das leere Versteck des Ossuariums legen. Wir müssen ja sowieso noch den ganzen Dreck loswerden.«
    »Gute Idee«, sagte Sana, aber als er gerade zurückkriechen wollte, hielt sie ihn am Arm fest. »Würdest du mir einen Gefallen tun, ehe du zurückgehst?«
    »Was?«, fragte er ungeduldig. Trotz ihres gemeinsamen Erfolges war er nicht in der Stimmung für großzügige Gesten.

    »Könnten wir die Glasplatte schon mal öffnen? Ich würde mich viel besser fühlen. Ich könnte dann das Ossuarium schon hinüber zu der Ecke unter dem Ausstieg bringen, während du die Werkzeuge versteckst.«
    Shawn sah zu dem Tunnel, dann zum Ossuarium. Er sah sogar kurz auf die Uhr, denn er wollte das Büro der Scavi bis elf Uhr verlassen haben. »Na gut!«, sagte er, als wäre es ein großes Opfer. Ein paar Minuten später war er wieder in dem Tunnel, stopfte eilig die Ausrüstung in das verlassene Versteck des Ossuariums, füllte das Loch mit dem Sand und

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