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Obduktion

Obduktion

Titel: Obduktion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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große, dunkle Gerinnsel, schaute dann auf die geschundene, aufgeschnittene Leiche und suchte nach einer humorvollen Entgegnung. Als ihm nichts einfiel, hielt er sich an die Wahrheit. »Nein!«, antwortete er.
    »Dieser Fall ist ein perfekter Beleg dafür, wie wichtig rechtsmedizinische Ermittler für die forensische Pathologie sind. Weil Janice die richtigen Fragen gestellt hat, erscheint der Fall in einem ganz anderen Licht. Ich wäre sonst von einer natürlichen Todesursache ausgegangen, aber weil sie die Frau des Toten fragte, ob er irgendwelche Medikamente genommen hatte, erfuhr sie, was die Ärzte in der Notaufnahme nicht wussten. Er hat
nämlich von sich aus eine Kräutermixtur eingenommen, PC-SPES, die aus chinesischen Kräutern gewonnen wird. Das Medikament sollte vom Markt genommen werden, aber es ist immer noch erhältlich. Janice hat nach dem Medikament gegoogelt und herausgefunden, dass es sich um eine von der Gesundheitsbehörde nicht kontrollierte Medikation handelt, die oft mit weiblichen Hormonen kontaminiert war und aus diesem Grund mit Problemen bei der Blutgerinnung und mit tödlichen Lungenembolien in Zusammenhang gebracht wird.«
    »Also hat die Kräutertinktur den Mann umgebracht.«
    »Wahrscheinlich«, sagte Jack.
    »Wirst du es beweisen können?«
    »Vielleicht. Die Toxikologen sollen sich mal die Proben vornehmen, die wir genommen haben, und versuchen, bei der Frau etwas von der Kräutermixtur aufzutreiben.«
    »Hey, mach weiter!«, beschwerte sich Vinnie. Jack hatte beim Reden aufgehört zu arbeiten.
    »Nimmst du irgendwelche pflanzlichen Medikamente, Vinnie?«, fragte Jack und machte sich wieder an die Arbeit.
    »Manchmal. Es gibt ein chinesisches Aphrodisiakum namens Tiger Power. Das benutze ich ab und zu. Und manchmal gibt mir mein Akupunkteur etwas gegen kleinere Beschwerden.«
    Jack unterbrach die Arbeit und starrte seinen Lieblingsassistenten an.
    »Was ist los? Warum schaust du mich so an?«
    »Was soll ich sagen? Ich wusste ja, dass du nicht ganz dicht bist, aber für so dämlich hätte ich dich nicht gehalten. «
    »Wieso? Wovon sprichst du?«
    »Ich hatte keine Ahnung, dass du dich für Alternativmedizin interessierst. Warum?«

    Vinnie zuckte die Schultern. »Ich glaube, weil sie natürlich ist.«
    »Natürlich! So ein Bockmist«, sagte Jack. »Das gefährlichste Gift der Welt kommt von einem südamerikanischen Baumfrosch. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie winzig eine tödliche Dosis davon ist. Das ist ›natürlich‹. Das Wort ›natürlich‹ sagt überhaupt nichts aus. Das ist einfach nur ein Marketingtrick.«
    »Na schön. Reg dich ab. Vielleicht gefällt mir die alternative Medizin, weil sie schon seit sechstausend Jahren praktiziert wird. Nach all der Zeit müssten sie wissen, was sie tun.«
    »Willst du mir jetzt etwa damit kommen, dass die Leute in ferner Vergangenheit einmal über größeres wissenschaftliches Wissen verfügten als wir heutzutage? Das ist ebenso verrückt wie unlogisch. Vor sechstausend Jahren glaubten die Leute auch noch, es würde donnern, weil ein paar Götter ihre Möbel umstellen.«
    »Na schön«, wiederholte Vinnie etwas irritiert. »Ich mag alternative Medizin, weil sie mich als Einheit begreift und behandelt. Und nicht nur meinen Arm, meinen Spleen oder was auch immer.«
    »Ach!«, rief Jack und erhob die Stimme mit noch mehr Hohn, als er schon für das Etikett ›natürlich‹ aufgebracht hatte. »Dieser Mythos von der Ganzheitlichkeit, dieser ganze Ich-bin-ganzheitlicher-als-du-Blödsinn ist genauso verrückt wie alles andere, was du mir erzählt hast. Die konventionelle Medizin ist tausendmal ganzheitlicher als die Alternativmedizin. Bei der konventionellen Medizin berücksichtigt man inzwischen sogar das individuelle genetische Profil. Geht es noch ganzheitlicher?«
    »Was hältst du davon, diese Autopsie hier abzuschließen? «, schlug Vinnie vor. »Und vielleicht solltest du aufhören, hier so rumzuschreien.«

    Wie schon ein paar Tage zuvor in Ronald Newhouses Praxis kam Jack schlagartig zu sich. Er hatte sich schon wieder von seinen Emotionen hinreißen lassen. Im ganzen Raum war es still geworden, und alle starrten ihn an. Als er auf seine Hände hinunterschaute, wurde ihm bewusst, dass er mit einer Hand immer noch nach dem Herzen und der Lunge griff, die er gerade untersuchte, während seine andere Hand das Schlachtermesser umklammert hielt. Genauso plötzlich, wie das Gemurmel der allgemeinen Konversation verebbt war, genauso

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