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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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Totenkopf und den gekreuzten Knochen hängt in der Scheune und enthält schon seit Jahren kein Gift mehr, Gift ist aus der Mode. Ich bewahre die Farbe darin auf.
    Im vergangenen Frühjahr sah ich Vater mit Schälchen voll Milch durch die Scheune schlurfen. Ich stellte keine Fragen, seufzte aber tief, so tief, daß er es hören konnte. Nach ein paar Tagen hatte er die jungen Katzen so weit, daß sie sich alle auf einmal um ein Milchschälchen drängten. Er packte sie und steckte sie in einen Sack. Keinen Jutesack, Jutesäcke haben wir nicht mehr. Es war ein Papiersack, der Beifutter enthalten hatte. Den Sack band er an der hinteren Stoßstange des Opel Kadett fest, mit einer Schnur von etwa einem Meter Länge.
    Vor sieben Jahren hatte er einen Test machen müssen, um seinen Führerschein verlängert zu bekommen. Er hatte fast alles falsch gemacht, was man falsch machen kann, und war durchgefallen. Seitdem darf er nicht mehr fahren. Trotzdem kroch er jetzt in den Wagen. Ein zarter grüner Schleier lag auf den Bäumen am Rand des Hofs, rund um die Stämme blühten Narzissen. Ich stand im Scheunentor und sah zu. Er ließ den Motor an, und sofort machte das Auto einen Satz nach vorn,wodurch er in den Sitz gedrückt wurde und danach mit der Stirn aufs Lenkrad schlug. Anschließend setzte er zurück, ohne über die Schulter oder in den Rückspiegel zu blicken. So machte er es eine ganze Weile: vorwärts fahren, schalten (das Getriebe jaulte) und zurücksetzen, wobei er das Lenkrad immer etwas drehte. Vor und zurück und hin und her, bis eine Wolke von Auspuffgasen zwischen den Bäumen hing. Dann kroch er wieder aus dem Wagen, band seelenruhig den Papiersack los und versuchte ihn oben auf den Misthaufen zu werfen. Bis er ihn oben hatte, mußte er den Sack dreimal vom Boden aufheben, er hatte nicht mehr genug Kraft in den Armen, um richtig Schwung zu holen. »Die sind wir los«, sagte er, als er in die Scheune zurückkam. Er rieb sich die Stirn und machte mit beiden Händen seine Das-wäre-geschafft-Bewegung; es klang wie Schmirgeln.
    Es dauerte einige Zeit, bis ich mich von der Stelle rührte. Dann ging ich langsam auf den Misthaufen zu. Der Sack lag nicht ganz oben, er war ein Stück nach unten gerutscht, und das nicht nur wegen der Schwerkraft, sondern auch, weil sich im Sack etwas bewegte. Ein ganz leises Piepsen war zu hören, und ein kaum wahrnehmbares Kratzen. Vater hatte etwas falsch gemacht, und ich durfte die Sache zu Ende bringen. Aber ich dachte nicht daran. Ich drehte mich um und ging genau so weit vom Misthaufen weg, daß ich nichts mehr hörte, und blieb ihm genau so lange fern, bis ich wußte, daß es nichts mehr zu hören gab und sich nichts mehr bewegte.
    Er will Nikolaus feiern, weil das »gemütlich« ist.
5
    Keine Ahnung, was hier eigentlich los ist, jedenfalls starrt mich jetzt – von einem Ast der kahlen Esche – eine Nebelkrähe an. Noch nie habe ich hier eine Nebelkrähe gesehen. Sie ist wunderschön, und sie macht mich ganz schön nervös, ich bekomme kaum einen Bissen hinunter. Ich setze mich auf einen anderen Platz, mit Aussicht durchs Seitenfenster. Um den Tisch stehen vier Stühle, ich kann mich hinsetzen, wo ich will, die anderen drei werden nicht benutzt.
    Ich sitze sonst immer auf Mutters Platz, auf dem Stuhl, der am nächsten bei der Anrichte steht. Vater saß ihr gegenüber, mit dem Rücken zum vorderen Fenster. Henk saß vor dem Seitenfenster und konnte, wenn die Türen offenstanden, ins Wohnzimmer schauen. Ich hatte die Küchentür hinter mir, und oft sah ich Henk nur als Umriß, wegen des Lichts, das hinter ihm durchs Fenster hereinfiel. Das machte nichts, denn vor mir saß mein Ebenbild, ich wußte genau, wie er aussah. Jetzt bin ich also wieder auf meinem alten Platz am Küchentisch gelandet, und das gefällt mir nicht. Ich stehe auf, schubse meinen Teller zur anderen Seite des Tischs und setze mich auf Henks Stuhl. Hier bin ich für die Nebelkrähe wieder sichtbar, sie dreht ihren Kopf ein bißchen, um mich richtig sehen zu können. Dieses Starren erinnert mich daran, wie die Schafe mich vor ein paar Tagen angeschaut haben, alle vierundzwanzig. Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß die Schafe meinesgleichen waren, daß es nicht mehr Tiere waren, die mich anstarrten. Nicht einmal bei meinen beiden Eseln hatte ich das je so empfunden. Und jetzt diese seltsame Nebelkrähe.
    Ich schiebe den Stuhl zurück, gehe durch den Flur zur Vordertür und auf den Kiesweg hinaus. »Kssst!«

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