Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
Henk den Schlegel hebt, drehe ich mein Gesicht weg. Er trifft den Pfosten so hart, daß ich ihn loslassen kann, bevor er das zweite Mal zuschlägt. An einer Schulter seines alten Overalls reißt eine Naht, ohne daß er es merkt. »Scheiße«, sagt er, als er ein drittes Mal ausholt.
Von den dreißig Betonpfosten entlang der Straße mußten acht ersetzt werden. Heute vormittag haben wir fünf geschafft, jetzt sind wir mit den letzten drei beschäftigt. Wir haben an der Hofseite angefangen und arbeiten uns in nordöstlicher Richtung zu den Resten des Knechtshauses vor. Wenn alle Pfosten stehen, wird auf der ganzen Länge neues, mit grünem Kunststoff beschichtetes Drahtgeflecht angebracht, und als oberer Abschluß jeweils ein Brett.
»Das hatte ich nicht geahnt«, sagt er.
»Es ist meine Schuld«, entgegne ich.
»Schuld, Schuld.« Er zieht mit seinem ganzen Gewicht an dem neuen Pfosten.
»Der ist in Ordnung«, sage ich. »Noch einen .«
Wir gehen zum letzten Pfosten, der ersetzt werden muß.
»Was ist das?« fragt Henk. Er zeigt auf die halbe Mauer und den zugewucherten Garten.
»Das war das Knechtshaus.«
»Umgeweht worden?«
»Abgebrannt.«
Henk nimmt die Schachtel aus der Brusttasche und zündet sich eine Zigarette an. Dann geht er am letzten Pfosten vorbei auf die Straße. Kurz darauf steht er im Garten des Knechtshauses. »Hier hat also der Knecht gewohnt?« ruft er. Er zieht an einem Ast der kahlen Magnolie.
Ich nicke.
Vom Garten aus betritt er den Betonboden der Ruine. »Klein«, ruft er.
Ich nicke.
Er schaut sich um, geht zu der halben Seitenmauer, die noch steht, und versucht sie mit einem Fuß umzustoßen. Es ist die Seitenwand, an der früher die Holztreppe zum Obergeschoß hinaufführte. Henk ist ungefähr so alt, wie ich damals war. »Nur ein Knecht oder eine ganze Familie?« fragt er.
Ich schüttle den Kopf.
»Was?« ruft er.
»Nur der Knecht.«
Er drückt seine Zigarette an der Mauer aus, nimmt Anlauf und springt über den schmalen Graben, der das kleine Grundstück von der Eselkoppel trennt. Dann geht er zum letzten Pfosten und fängt an, ihn hin und her zu zerren. »Noch einmal kräftig rütteln, dann sind wir fertig«, sagt er.
Ich kann die Muskeln an seinem Hals zucken sehen.Kurz bevor ich mit Melken anfange, gehe ich zum Damm. Da kommt er endlich, auf Vaters altem Rad. Am Lenker baumelt eine Plastiktüte von Albert Heijn. Er war beim Friseur, und er hat eingekauft, deshalb hat es so lange gedauert. Er steigt ab. »Was zu essen«, sagt er und zeigt auf die Tüte. Ich hebe die Hand, aber er zieht den Kopf zurück, als hätte er – früher als ich – gespürt, daß die Hand auf dem Weg zu seinen gestutzten Haaren war.
»Warum hast du dein Haar so kurz?« frage ich.
»Kein besonderer Grund«, sagt er. »Schön praktisch.«
Ich sehe den alten Friseur hier im Dorf (schon seit über zwanzig Jahren tot), wie er den Kamm mit lockerem Handgelenk an seinem weißen Kittel abstreift, um die Härchen daraus zu entfernen, und im Frisierspiegel sehe ich langsam einen Ford vorbeifahren, vor austreibenden Sträuchern im Garten des Hauses gegenüber. Einen alten Ford mit Heckflossen und von der gleichen Farbe wie die alten Fähren, hellgrün. Ich habe den prickelnden Duft von Birken-Haarwasser in der Nase, und ich sehe Henks Gesicht, zu einer Grimasse verzogen.
Er hat bei Albert Heijn Gehacktes gekauft, helles. Bevor er sich ans Kochen macht, nehme ich ihn zur Gefriertruhe in der Waschküche mit. »Mach mal auf«, sage ich.
Er hebt den Deckel an. »Mein Gott«, sagt er. »Ist das alles Fleisch?«
»Eine halbe Kuh«, antworte ich. »In Beuteln verpackt.« Ich nehme einen steinhart gefrorenen Beutel mit rotem Verschlußband aus der Truhe. »Rot ist Gehacktes. Rindergehacktes. Blau ist Steak, grün ist Roastbeef.«
»Wo ist die andere Hälfte von der Kuh?«
»Vom Metzger verkauft.«
Er läßt den Deckel wieder herunter. »Ich hab mein Leben lang Bauchspeck gegessen«, sagt er.
Henk kocht ein Gericht mit Tomaten, Paprika, Zwiebeln, Knoblauch und Kräutern. Es ist nach zwanzig Minuten fertig. Ich öffne die erste Flasche südafrikanischen Wein; nach dem Korkenzieher mußte ich lange suchen.
»Laß mich mal riechen«, sagt Henk, als er den Korken aus dem Flaschenhals ploppen hört.
Ich strecke ihm die Flasche entgegen.
»Nein, den Korken.«
Ich halte ihm den Korken unter die Nase.
»Gut«, sagt er. Es hört sich an, als ob er sich auskennt.
Ich decke den Tisch und gieße uns Wein
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