Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
Vom Netzwerk:
als derRest, ich frage mich nicht mehr, wo Jarno Koper sich wohl niedergelassen hat. Immer öfter mache ich mittags ein Nickerchen.
    »Helmer?«
    Ich öffne die Augen. Henk steht in der Tür.
    »Was willst du?«
    »Der alte Herr van Wonderen … dein Vater sagt, daß du melken mußt.«
    »Warum?«
    Er dreht sich um und geht zu Vater zurück. Ich höre ihn »Warum?« fragen. Er kommt wieder.
    »Weil es schon fünf Uhr ist.«
    »Sag ihm, dann soll er es selbst machen.«
    Er will sich schon umdrehen, überlegt es sich aber anders. »Das geht nicht«, sagt er.
    »Warum nicht?«
    »Er kann nicht gehen.«
    »Ach nein?«
    »Nein.« Er traut sich offensichtlich nicht, ins Zimmer zu kommen. Es ist sein Zimmer, hier liegen seine Sachen, ich sehe, wie er nach dem Zigarettenpäckchen schielt. Er hat seit mindestens zwei Stunden nicht mehr geraucht.
    »Vielleicht sollte ich dann allmählich mal aufstehen«, sage ich.
    »Darf ich . . .«
    »Ja, es ist doch dein Zimmer.«
    »Du liegst auf meinem Bett.«
    »Das stimmt.«
    Er kommt herein, greift sich die Zigaretten vom Nachttisch, nimmt eine heraus und zündet sie an. Ich richte mich auf und schwinge die Beine aus dem Bett.
    »Versorgst du das Jungvieh?«
    »Natürlich.«
    »Und hilfst du mir morgen mit dem neuen Zaun für die Eselkoppel?«
    »Ja, klar.«
    »Fein. Hast du die ganze Zeit bei Vater gesessen?«
    »Ja. Er schläft aber oft ein.«
    »Er ist sehr alt.«
    »Ja, ziemlich. Mein Gott.« Er drückt die Zigarette im Aschenbecher aus.
    »Komm«, sage ich.
    Beim Rausgehen dreht er sich noch einmal um, wie um sich zu vergewissern, daß in seinem Zimmer nichts verändert ist. Ich merke das, weil auch ich mich umgedreht habe: um mich zu vergewissern, daß er mir nachkommt.
    »Na Gott sei Dank«, läßt Vater sich vernehmen.
    »Kümmer dich um deine eigenen Angelegenheiten«, sage ich und schließe die Tür seines Zimmers.
    »Es sind meine Angelegenheiten«, ruft er noch.
    »Wie alt bist du eigentlich?« fragt Henk auf der Treppe.
    »Fünfundfünfzig.«
    »Echt? Deine Haare sind noch ganz schwarz.«
    In der Waschküche ziehen wir beide einen Pullover an, dann unsere Overalls. Henk steckt das Zigarettenpäckchen in seine Brusttasche und fährt sich mit der Hand durchs Haar. Wir gehen an die Arbeit, der Bauer und sein Knecht.
37
    »Henk?«
    Henk dreht sich um und läßt den Betonpfosten los, an dem er gerade gezerrt hat. Die Sonne scheint ihm aufden Nacken, es ist ein paar Grad wärmer als gestern. Teun und Ronald stehen nebeneinander auf der Straße, das klassische Brüderpaar: groß und klein; der ältere ernst, der jüngere fröhlich, weil er gar nicht anders kann; das gleiche Haar, die gleiche Nase. Fehlt nur, daß sie sich bei der Hand halten. Teun ist dafür schon zu alt, bei Ronald kann ich es mir noch gut vorstellen. Sie könnten auch Waisen sein.
    »Ja?« antwortet Henk.
    »Hast du das Poster schon aufgehängt?«
    Henk wirft mir einen Blick zu. Ich stelle den Holzschlegel zwischen meine Füße. Henk schüttelt den Kopf.
    »Gefällt es dir nicht?«
    »Es gefällt mir sehr gut«, sagt Henk bedrückt.
    »Das Poster ist aus Versehen zerrissen«, sage ich.
    Teun wendet sich mir zu. »Zerrissen?« fragt er.
    »Ja.«
    »Aus Versehen?«
    »Ja.«
    »Wie kann denn das passieren?«
    »Hast du das gemacht, Henk?« fragt Ronald fröhlich.
    »Nein«, sage ich. »Ich war das.«
    »Aber. . .«
    »Wolltest du es wiederhaben?« fragt Henk.
    »Ja. Ich hatte es dir geliehen, hat meine Mutter das nicht gesagt?«
    »Nein«, antworte ich, »davon hatte sie nichts gesagt.«
    »Kannst du’s nicht reparieren?« fragt Ronald Henk. »Mit Klebeband?«
    »Nein, es ist ganz zerrissen.«
    Teun schaut von Henk zu mir und wieder zurück.
    »Soll ich dir ein neues kaufen?« fragt Henk.
    »Nein«, sagt Teun. »Schon gut.« Neben seinem rechten Fuß steht ein einsamer gelber Krokus am Straßenrand. Teun sieht ihn nicht, und als er sich umdreht, zertritt der die Blume. »Komm, Ronald«, sagt er.
    »Ich will . . .« beginnt Ronald.
    »Komm«, unterbricht ihn Teun. »Wir gehn nach Hause.« Er nimmt Ronalds Hand und zieht ihn hinter sich her. In einiger Entfernung läßt er die Hand seines kleinen Bruders los. Ronald schaut sich noch einmal um, etwas weniger fröhlich als sonst.

    »Jetzt will ich mal schlagen«, sagt Henk. Er hat den alten Pfosten gelockert und dann aus dem Boden gezogen, der neue steht lose im alten Loch. Ich reiche ihm den Schlegel, gehe in die Knie und halte den Pfosten in der Mitte fest. Als

Weitere Kostenlose Bücher