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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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arbeitet hier.«
    »Ah.«
    Henk tut so, als ob niemand da wäre. Er hat sich nicht umgeschaut und ißt einfach weiter. Ich habe meinen Stuhl etwas zur Tür hin gedreht.
    »Setz dich«, sage ich und zeige auf den Stuhl gegenüber von meinem.
    »Ja-a«, sagt der Viehhändler langsam und zu meiner Überraschung. Er nimmt die Mütze ab und setzt sich hin. Er schaut Henk aus den Augenwinkeln an.
    »Ich hab nichts für dich.«
    »Deswegen komme ich nicht.«
    Weil er nichts weiter sagt, frage ich, ob er Kaffee möchte.
    »Ja, Kaffee wär nicht schlecht.«
    Ich stehe auf und hole einen Becher aus einem der Hängeschränkchen.
    »Also du arbeitest hier«, fragt der Viehhändler Henk.
    »Ja.«
    »Kommst du aus Brabant?«
    »Ja.«
    Ada? Oder kann er an einem Ja hören, woher jemand kommt? Ich stelle ihm den Becher hin.
    Er schaut sich in der Küche um, als wäre er zum ersten Mal hier. »Wie geht’s dem alten van Wonderen?«
    »Gut.« Ich schiebe meinen Teller mit der halb gegessenen Scheibe Brot zurück. »Nur ist er nicht mehr so ganz beieinander.«
    »Schade«, sagt der Viehhändler. »Wir haben so manches Geschäft zusammen gemacht.«
    »Ja.«
    Die elektrische Uhr summt, Henk rutscht auf seinem Stuhl hin und her.
    »Ich wollte sagen, daß ich aufhöre.«
    »Tatsächlich?«
    »Weißt du, wie alt ich bin?«
    »Anfang Sechzig?«
    »Achtundsechzig.«
    »Dann wird’s auch Zeit.«
    »Die Frau hat gesagt, wenn du jetzt nicht langsam mal aufhörst, dann geh ich.«
    »Tja.«
    »Sie will reisen.«
    »Habt ihr nicht eine Tochter in Neuseeland?«
    »Ja. Die Frau hat schon Flugtickets gekauft.«
    »Schön.«
    Er trinkt etwas Kaffee. »Fliegen«, sagt er dann. »Kannst du dir mich in einem Flugzeug vorstellen?«
    »Wieso nicht?«
    Er hat eine schleppende Art zu reden und schaut mich kaum an. Ich würde gern einen Blick unter den Tisch werfen, weil ich vermute, daß seine Füße jetzt ganz ruhig und flach auf dem Boden stehen. Er ist schon jemand anders, er ist kein Viehhändler mehr und kann ohne Scheu sprechen.
    Henk steht auf. »Ich geh raus«, sagt er. »Wiedersehn.«
    »Wiedersehn, Junge«, sagt der Viehhändler. Sobald Henk weg ist, schaut er mir ins Gesicht. »Das ist also dein neuer Knecht.«
    »Ja«, sage ich.
    »Kräftiger Junge.«
    »Ja.«
    Ich höre die Tür zur Milchkammer zuschlagen.
    Der Viehhändler wendet endlich den Blick ab und schaut durchs Seitenfenster. »Ich war eben bei den Nachbarn.«
    »Fährst du bei allen vorbei?«
    »Ja. Das kostet mich bestimmt eine Woche.« Er stellt den Becher auf den Tisch. »Ich geh wieder.«
    »Gut«, sage ich.
    »Wir sehn uns irgendwann noch«, sagt er in der Waschküche.
    »Viel Vergnügen in Neuseeland.«
    »Da ist jetzt Sommer«, sagt er. Er schlüpft in seine Klompen. »Bestell deinem Vater Grüße.«
    »Werd ich machen«, sage ich.
    Er öffnet die Stalltür und geht zum hinteren Ausgang.
    Ich warte einen Moment und verlasse dann das Haus durch die Milchkammer. Als der kleine Lastwagen vorbeifährt, hebe ich die Hand. Henk sitzt gegenüber der Milchkammer auf dem Zaun der Eselkoppel. Ich sehe ihn erst, als der Wagen vorbei ist. Rauch schwebt überseinem Kopf. Jetzt hebt er die Hand. Ein Theaterstück ohne Worte für drei Männer: Einer fährt weg, ohne sich noch einmal umzusehen, der zweite starrt ihm hinterher, der dritte beobachtet den zweiten, der zweite bemerkt den dritten nicht, bis der erste fort ist.

    Es ist warm in der Küche. Die Sonne scheint auf den Tisch. Draußen fliegen zwei Enten vorbei. Ich mache zwei Scheiben Käsebrot fertig und gehe die Treppe hinauf. Vater wacht nicht auf, als ich ins Zimmer komme. Ich stelle den Teller vorsichtig auf seinen Nachttisch und setze mich auf den Stuhl am Fenster.

    »Der Viehhändler läßt dich grüßen«, sage ich leise, aber nicht gehässig. »Er fliegt nach Neuseeland, mit seiner Frau, zu seiner Tochter.« Die Nebelkrähe in der Esche ist mein ganzes Publikum. »Du bist mir zuwider, weil du mir mein Leben verdorben hast. Ich lasse keinen Arzt kommen, weil es meiner Ansicht nach höchste Zeit wird, daß du aufhörst, mir mein Leben zu verderben, und ich sage Ada, daß du senil bist, weil das alles ein bißchen einfacher macht. Wenn du senil bist, spielt alles keine Rolle mehr. Was ich sage, was du sagst. Und du weißt nicht annähernd, wieviel Henk mir bedeutet hat. Henk war mein Zwillingsbruder. Weißt du, wie es ist, einen Zwillingsbruder zu haben? Na? Was weißt du eigentlich? Du bist in all den Monaten, nachdem du Jaap

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