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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Heeg
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Gynäkologe beim Schallen meiner Brust: »Sie haben aber sehr drüsiges Gewebe.« Klingt irgendwie, als sei ich unnormal, auch wenn es von den Ärzten sicher nicht so gemeint ist.
    Die Untersuchung im Kernspin wird auf meinen nächsten Besuch in Köln verschoben, so schnell ist da kein Termin frei. Außerdem muss ich auch noch zur humangenetischen Beratung. Dann wird das alles in einem Aufwasch gemacht. Ich erhalte außerdem eine Anleitung für die Selbstuntersuchung meiner Brust. Das soll ich einmal im Monat machen, was mir theoretisch schon klar ist. Trotzdem habe ich mich bisher meistens davor gedrückt. Es ist auch echt schwierig, denn ich weiß ja nicht, wie sich ein Tumor anfühlt! Ist das jetzt nur mein »drüsiges« Gewebe, oder ist das schon eine Wucherung? Ich werde kein Fan mehr von dieser Art der Selbstuntersuchung.

    Geschafft, ich bin raus. Jetzt muss ich erst mal zu mir kommen. Ich beschließe, zu Fuß zurück in die Kölner Innenstadt zu gehen. Spazierengehen hilft mir in solchen Situationen. Man findet nur zwei von mindestens vier Mutationen. Das ist etwas mehr Information, als ich mir gewünscht hätte. Das mit der endgültigen Gewissheit kann ich mir also vielleicht abschminken. Was tun, wenn sie keine Mutation finden? Verstärkte Vorsorge ist klar, aber reicht das? Kann ich damit leben? Ich kann mir vieles vorstellen, aber ich bezweifle, dass ich mich jemals für eine Chemo entscheiden könnte. Klar, sag niemals nie. Wer weiß schon, wie er in so einer Situation handeln wird. Trotzdem: Vorstellen kann ich es mir nicht. Das erscheint mir einfach zu aussichtslos. Ja, ja, die Medizin ist weiter, die Nebenwirkungen wären nicht mehr ganz so krass wie bei meiner Mutter damals. Aber zumindest im Moment überzeugt mich das alles nicht. Was also, wenn ich keine Gewissheit kriege?
    Immer an der Straßenbahn entlang, dann kann nix schiefgehen, dann finde ich den Weg. An der Mensa der Uniklinik herrscht gerade emsiges Treiben, junge Studenten und Studentinnen sitzen in der Sonne, essen, reden und lachen. Ich muss gestehen, dass ich gerade richtig neidisch bin auf dieses unbeschwerte Leben. Ein paar Meter weiter ist eine Bäckerei, und ich kaufe mir auch etwas zum Essen. Ich merke, wie ich wieder zu mir komme. Das alles hat mich doch ganz schön mitgenommen. Ich rufe Tino an. Er hat meinen Anruf offensichtlich schon erwartet: »Und? Wie geht’s dir?«
    »Ganz okay. Aber sie brauchen das Blut von Oma.«
    »Wieso von Oma?«
    »Für die Untersuchung: Die Mutation muss von Oma kommen. Erst schauen sie bei ihr, ob es eins oder zwei ist. Nur wenn sie bei ihr etwas finden, wird auch bei mir der Gentest gemacht.«
    Tino versteht es nicht sofort: »Aber warum gucken sie nicht gleich bei dir nach den Mutationen?«
    »Weil sie dann keine eindeutige Aussage machen können. Wenn die bei Oma eins oder zwei finden, dann suchen sie bei uns auch nach eins oder zwei. Wenn sie bei Oma nichts finden, dann ist es wahrscheinlich eine bisher noch nicht bekannte Mutation. Dann macht aber auch ein Test für mich keinen Sinn. Verstehst du?«
    Es ist kurz still.
    »Also, dein Blut wird erst untersucht, wenn man bei Oma eine der beiden schon bekannten Mutationen findet.«
    Genau. Nur dann. Denn nur dann kann man mich auch entlasten. Oder belasten. Dummerweise muss ich mir jetzt also wünschen, dass Oma BRCA1 oder 2 hat.

ALTE WUNDEN
    Juni 2003

    Der erste Besuch in Köln hat viele Folgen. Zunächst mal will meine Schwester wissen, wie es war. Ich erzähle ihr einfach, was ich erfahren habe. Sie wird nicht viel dazu sagen, das weiß ich. Sie hört zu und denkt mit. Wir wissen beide, dass alles, was mich betrifft, genauso auch auf sie zutrifft. Mit dem einzigen Unterschied, dass ich älter bin. Sie hat noch etwas Zeit, einige Jahre, in denen sie sich um nichts kümmern muss. Und so läuft unser Gespräch auch ab: Ich erzähle, sie hört zu. Ein weiterer Austausch, etwa über Gefühle, ist nicht angesagt, darauf legt Anette keinen Wert. Ich kann sie sehr gut verstehen. Und für mich ist das so völlig in Ordnung. Es ist ein Gefühl von tiefem Einverständnis, das mich mit ihr verbindet. Ohne es zu sagen, gibt sie mir trotzdem zu verstehen, dass es gut beziehungsweise nötig ist, was ich mache. Mich erleichtert es, dass sie in mir nicht einen Hypochonder sieht. Das hat mir zwar nie jemand vorgeworfen, aber bei vielen Gesprächen mit Freunden und Bekannten zu diesem Thema habe ich den Eindruck, dass sie meine Vorgehensweise für etwas

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