Oben ohne
übertrieben halten. Brustkrebs, das hatte mein Mutter, Tante, Oma doch auch, scheinen sie zu denken. Und die leben schließlich immer noch, da wurde lediglich der Tumor entfernt. Und so weiter. Da muss ich doch etwas hysterisch sein mit meinem Gerede von einer prophylaktischen Entfernung des Brustgewebes, oder? Wie gesagt, niemand hat das so ausgesprochen. Aber ich meine, diese Gedankengänge durch das Schweigen hindurch wahrgenommen zu haben.
Die Gespräche mit meinem Bruder und meinem Vater verlaufen ähnlich wie das mit Anette. Beide sagen nichts dazu, aber hören mir auf jeden Fall zu. Das anfängliche Unverständnis meines Vaters ist verschwunden, zumindest lässt er es mich nicht mehr spüren. Meinem Bruder muss ich noch sagen, dass auch Männer, die Mutationsträger sind, ein Risiko von etwa fünf Prozent haben, an Brustkrebs zu erkranken. Das wurde mir in Köln mitgeteilt, und für mich war diese Info komplett neu: dass ein Mann Brustkrebs bekommen kann – das habe ich noch nie gehört. Jedenfalls informiere ich ihn in unserem Telefongespräch. Er hört sich das an, ohne eine Reaktion zu zeigen. Ich habe keine Ahnung, was er mit dieser Information anfangen wird. Da er nicht weiter nachfragt, beende ich das Thema schließlich.
In Köln hat man mich aber nicht nur gebeten, meine engsten Verwandten zu informieren, sondern auch alle meine Tanten und Onkel und Cousinen und Cousins mütterlicherseits. Das ist keine ganz triviale Aufgabe. Zum einen sind wir eine ziemlich große Familie. Oma hat insgesamt vierzehn Enkel, plus meine Tante und mein Onkel (insgesamt hatte Oma natürlich vier Töchter, aber drei davon sind ja bereits tot). Ich habe nur zu einigen aus der Familie direkten Kontakt. Zudem ist die Familie etwas auseinandergefallen, seit meine Mutter und meine beiden Tanten gestorben sind. Nur wenn uns Oma alle Jubeljahre mal komplett einlädt, sehen und hören wir etwas voneinander. Und selbst dann können nicht alle kommen. Außerdem reden wir in unsrer Familie eigentlich nie über den Krebs. Komischerweise ist das Thema fast tabu. Das, was ich jetzt mache, empfinde ich deshalb schon als Tabubruch.
Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, alle durchzutelefonieren. Fast alle meine Cousinen sind zudem deutlich jünger als ich. Das ist alles noch nicht relevant für sie. Ich entschließe mich, dass ich vorerst nur meine Tante anrufen werde. Sie weiß bereits, dass ich das Beratungsgespräch hatte, und wollte ausdrücklich darüber informiert werden. Sie kann mir dabei helfen, die anderen nach und nach zu informieren. Schließlich genügt es ja, wenn ein Ergebnis da ist, sprich: wenn klar ist, ob wir überhaupt getestet werden können. Nicht unnötig die Pferde scheu machen. Andererseits müssten sie schon erfahren, dass sie ab fünfundzwanzig eine verstärkte Vorsorge brauchen. Egal, jetzt rufe ich erst mal meine Tante an.
Das Telefongespräch verläuft sehr sachlich. Ich berichte ihr, was ich erfahren habe. Wir verbleiben so, dass ich die Infos, die ich in Zukunft schriftlich bekomme, grundsätzlich kopieren werde und an sie weiterleite. Das fühlt sich gut an. Meine Tante hat jederzeit die Möglichkeit, alles nachzulesen und kann bei Bedarf natürlich auch bei mir anrufen. Ich habe sie ausdrücklich gefragt, ob ihr Frauenarzt sich mit familiärem Brustkrebs auskennt und vor allem um ihre erhöhte Gefahr von Eierstockkrebs weiß. Das hat sie bejaht. Nachdem ich aufgelegt habe, bleibt trotzdem ein wenig schlechtes Gewissen zurück, dass ich nicht alle gleich informiert habe. Andererseits müsste jedem in unserer Familie klar sein, dass es sich um eine erbliche Variante von Krebs handeln könnte. Trotzdem war und ist es nie Thema gewesen zwischen uns. Möglicherweise ist es für den einen oder anderen auch gar nicht mit seinem Glauben vereinbar. So wie Oma auch gleich mit der Schuldfrage kam.
Als ich aus Bonn zurückkam, lag bereits ein Brief aus Köln auf dem Tisch. Sie brauchen noch mehr Informationen über meine verstorbenen Verwandten. Wenn die wüssten, wie schwer es für mich ist, an Infos heranzukommen! Ich habe also nochmal bei meinem Vater angerufen, um die letzte Quelle anzuzapfen.
Zu guter Letzt muss ich die Blutabnahme für Oma organisieren. Frau Professor Schmutzler hatte vorgeschlagen, dass ich es direkt über ihren Hausarzt abwickele. Allerdings habe ich keine Ahnung, wie ihr Hausarzt heißt. Ich kann sie nicht einfach nach ihrem Hausarzt fragen, da riecht Oma den Braten sofort. Sie
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