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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Heeg
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die Uniklinik sind rar. Nach einigen Runden durch das angrenzende Wohngebiet finden wir schließlich eine Lücke und raffen hastig unseren Krempel zusammen, denn das Symposium fängt in wenigen Minuten an. Alles nicht so einfach: Wir sind an irgendeiner Ecke des riesigen Klinikgeländes gelandet. Der Tagungsort, das Dr. Mildred-Scheel-Haus, liegt irgendwo mittendrin. Doch schließlich finden wir kleine provisorische Wegweiser. Als wir den Hörsaal betreten, der ganz klassisch aussieht, mit steil abfallenden Sitzreihen und knochenharten Sitzbänken, werden gerade die einleitenden Worte gesprochen.
    »Ganz schön was los«, flüstert Evelyn.
    Der Hörsaal ist ordentlich besetzt, ich deute auf einige freie Plätze in den oberen Reihen. Brav packen wir Papier und Stift aus, um uns Notizen machen zu können. Ein kleiner Flashback in meine Studienzeit, die Vorlesungen in Soziologie und Geschichte gehen mir durch den Kopf. Das waren noch Zeiten!

    Ich versuche, mich etwas zu entspannen nach der vierstündigen Autofahrt, aber die Folterwerkzeuge von Sitzmöbeln lassen nur aufrechtes Sitzen zu. Nach den allgemeinen huldvollen Begrüßungsformeln gibt es kurze Fachvorträge. Und es wird gleich spannend, denn es geht um die genetischen Hintergründe des erblichen Brustkrebses. Also um das, was in Evelyns Erbgut vielleicht nicht in Ordnung ist. Ich konzentriere mich auf den Dozenten im weißen Kittel, der uns mit kryptischen Folien bombardiert. Nach höchstens zwei Minuten bin ich intellektuell vollständig abgehängt.
    Später werde ich mir ein schlaues Buch besorgen, »BRCA – Erblicher Brust- und Eierstockkrebs«, herausgegeben von Gerhardus, Schleberger, Schlegelberger und Schwartz, Heidelberg 2005. Hier eine Kostprobe: »BRCA1 ist ein sehr großes Gen mit 7365 kodierenden Nukleotiden, die auf über 81000 Basen genomischer DNA verteilt sind. Es liegt auf dem langen Arm von Chromosom 17 (17q21) und besteht aus 24 Exons, von denen 22 kodierend sind. Das BRCA1-Gen kodiert ein komplexes Protein mit 1863 Aminosäuren, mit Funktionen in der Tumorsuppression. Das von BRCA1 kodierte Protein ist Teil eines Komplexes, der für die Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen zuständig ist. Zellen, in denen BRCA1 fehlt, sammeln vermehrt chromosomale Abnormitäten an. Bisher wurden bereits über 500 verschiedene Mutationen des BRCA1-Gens gefunden. Von diesen ändern 80 Prozent das Leseraster oder führen zu Proteinverkürzungen.«
    Kein großes Wunder, dass man da nur noch Bahnhof versteht. Grob gesagt ist zunächst mal etwas schiefgelaufen im Bauplan der Zellen. Der Bauplan ist die DNA, die wiederum auf verschiedenen Ebenen unterschiedlich gegliedert ist, was wir aber jetzt einfach ignorieren. In diesem Bauplan sind einige Dinge durcheinandergeraten. Es stehen Informationen an der falschen Stelle, sind rückwärts aufgeschrieben oder fehlen ganz. Nun ist das BRCA1-Gen eigentlich dafür da, dass im menschlichen Körper keine Tumore wachsen, das heißt es dient der Unterdrückung von bösartigen Zellwucherungen (Suppression). Das läuft in etwa so ab: Das BRCA1-Gen ist quasi ein kleines Reparaturprogramm für bestimmte Schäden am Erbmaterial der Zellen. Es hilft also, die Baupläne wieder herzustellen, falls diese durcheinandergeraten sind – was in unserem Körper immer wieder durch unterschiedlichste Ursachen geschehen kann. Wenn das Reparatur-Gen BRCA1 aber selbst nicht funktioniert, dann kann es auch keine Reparaturen am Erbmaterial der Zellen anleiten. Dadurch passiert es schneller, dass Zellen mit abnormalem Erbgut ungehindert wachsen und schließlich zu Krebstumoren werden.
    Evelyn ist noch voll bei der Sache und schaut konzentriert auf die Chromosomen-Strukturen an der Wand. Immerhin hat sie Biologie studiert, tröste ich mich. Schließlich wendet sich der Dozent den familiären Stammbäumen zu, und ich steige wieder ein. Das Lesen von Stammbäumen gehört inzwischen fast zu unseren Kernkompetenzen.
    »Hier sehen Sie den wunderschönen Stammbaum einer Erkrankten«, führt der Fachmann auf dem Podium gerade aus. Da ging gerade der Wissenschaftler mit ihm durch, er meinte natürlich: ein sehr gutes Beispiel. Evelyn schneidet mir eine Grimasse. Ja, so »wunderschön« ist auch ihr Stammbaum. Überall finden sich die Zeichen von bereits gestorbenen engen Verwandten.
    Der Laserpointer tanzt über die verschiedenen Erkrankten und Gestorbenen hinweg. Alles wie bei ihr: mehrere direkte Verwandte jung an Brustkrebs erkrankt und gestorben.

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