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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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nicht.«
     
    Es klopfte zaghaft an der Tür, die Klinke wurde behutsam heruntergedrückt, die Tür öffnete sich langsam, und alle blickten verwundert in diese Richtung.
    »Hallo! Wer sind Sie?«, rief Stengele. »Wir sind hier in einer polizeilichen – Äh – Wer bist du?«
    Ostler und Hölleisen, die ebenfalls automatisch aufgesprungen waren, setzten sich wieder hin und schüttelten den Kopf. Ein hochaufgeschossenes, staksiges Mädchen von vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahren war hereingekommen. Es trug ein rotes Kopftuch, unter dem ein langer, rötlichbrauner Zopf hervorlugte.
    »’S Gout mitnand’«, sagte das Mädchen im gemütlich-breiten Dialekt des Oberlandes, wobei man ihre glitzernde, entstellende Zahnspange erkennen konnte. Das arme Mädchen, gehänselt und geneckt in der Schule. Die roten Bäckchen –
     
    »Herrjessas, was sind wir für Idioten«, schrie Ostler und schlug sich mit der Hand an die Stirn.
    »Aber eine volle Minute sind Sie alle drauf reingefallen«, sagte Nicole und nahm das Kopftuch und den falschen Zopf ab. »Das ist ein Vorteil der Jugend. Mit fünfundzwanzig kann man noch eine Vierzehnjährige spielen. Und für ein hochaufgeschossenes pubertierendes Mädchen gehe ich gerade noch durch, wenn ich mich anstrenge.«
    Stengele nahm erst jetzt die Hand von der Dienstwaffe. Alle entspannten sich, Maria Schmalfuß klatschte Beifall.
    »Bravo! Ich hätte es eine halbe Stunde lang nicht bemerkt. Und so wollen Sie zu diesem Hartl Peter gehen?«
    »Ja, das ist meine Idee. Ich dachte, ich probiere das gleich mal an Ihnen aus. Morgen ist Johanni, Sie wissen schon, der Tag mit den Johannisfeuern. Da gibt es einen alten Brauch, nämlich das sogenannte
Grainauer Feuergeldsingen

    »Das ist ein ganz alter Brauch« sagte Hölleisen anerkennend. »Ich dachte, dass der schon vergessen ist. Woher wissen Sie denn davon, Frau Schwattke? Den kennt man in Recklinghausen sicher nicht.«
    Nicole holte ihr Smartphone heraus und zeigte darauf.
    »Ich habe ein Bräuche-App heruntergeladen. Bräuche aus aller Welt, Bräuche in Bayern, Bräuche in Oberbayern, Bräuche im Werdenfelser Land – Jacklschutzen, Josefi-Kücherl, Karfreitags-Ratschen – und das Grainauer Feuergeldsingen. Jugendliche gehen an diesem Tag von Haus zu Haus und erbitten Geld für die Johannisfeuer. Erstmals erwähnt im Jahre zwölfhundertsoundsoviel.«
    »Ja, so ist es«, sagte Hölleisen. »Die Johannisfeuer oben auf dem Berg waren früher eine sehr zeitraubende und teure Angelegenheit. Die Burschen, die das Feuer vorbereitet und angezündet haben, konnten auf dem Feld und im Stall nicht mithelfen, der Lohnausfall ist durch das Feuergeld wieder ausgeglichen worden.«
    »Ich spiele eine schweigsame Bauerstochter«, sagte Nicole. »Der Hartl Peter kann mich zwar auch rausschmeißen, aber ich denke schon, dass ich ins Haus komme.«
    Sie deutete auf ihre Zahnspange und auf ihre grobporige, picklige Nase.
    »Wunder der Kosmetik!«, sagte Maria.
    »Diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Ich zähle auf den Mitleidseffekt. Ich gehe dort auf die Toilette, ich verirre mich, ich habe dadurch ein paar Minuten Zeit, mir alles ein wenig genauer anzuschauen.«
    »Zwei oder drei Jugendliche wären natürlich noch besser«, sagte Ostler. »Meine beiden Buben –«
    »Unter gar keinen Umständen!«, donnerte Jennerwein. »Ein waghalsiger Einsatz, ja, jederzeit. Aber bei Minderjährigen hört der Spaß auf.«
    »Ich übernehme die Verantw-«
    »Das glaube ich Ihnen gerne. Aber Nicole geht allein. Wir verkabeln sie, sie ist bewaffnet. Wir erstellen einen Projektplan für die Aktion. Wir brauchen zum Beispiel unauffällige Beobachtungsposten in der Umgebung, von denen aus wir notfalls eingreifen können. Dann brauchen wir eine Legende für dieses Mädchen mit dem großen Zopf, falls der Hartl Peter einige Fragen stellt. Ostler, Sie ziehen sich mit Nicole zurück, und bringen ihr die wichtigsten zehn bayrischen Sätze bei.«
    »Gerne Chef. Der wichtigste Satz wird sein: I muass aufs Heisl.«
    »Imousaffsheissl«, sagte Nicole.
    »Nein, Frau Schwattke, das ei ist weicher: Imuassaufsheisl.«
    »I mousoffshaissl«
    »Nicht schlecht, aber das mou nicht wie ein Hundegebell, mou, mou, wou wou, das klingt ja schon fast niederbayrisch, das ou leicht und locker, wie eine Gams im Gebirg umherspringt, oberbayrisch-alpenländisch eben.«
    »I mouass uffs Hiasl?«
    »Sie werden das schaffen, Nicole«, sagte Jennerwein. »Und schminken Sie sich die roten

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