Oberwasser
Einwohner des Kurorts scharten sich um die Heimkehrer und begrüßten sie neugierig und ehrfurchtsvoll.
»Und wo genau wohnt ihr jetzt?«
»Am Bergfuß vom Kramerspitz. Ganz in der Nähe von unserem alten Haus.«
»Und von was lebt ihr?«
Rechtsanwalt Goldacker, der bisher geduldig schweigend dabeigestanden hatte, räusperte sich heftig. Er wollte nicht, dass seine Mandanten hier eine falsche Antwort gaben.
»Ersparnisse«, soufflierte er.
»Ersparnisse«, sagte Ursel fröhlich.
»So, Ersparnisse!«, sagte die Holzner Rosl spitz. Die Graseggers verabschiedeten sich gut gelaunt. Ihre anfängliche Nervosität war vollkommen verflogen.
»Halten Sie sich etwas zurück«, sagte Goldacker, als sie wieder alleine waren.
»Glauben Sie uns denn nicht?«, fragte Ignaz. »Wir haben Ihnen doch unsere Vermögensverhältnisse offen gelegt.«
Goldacker antwortete nicht darauf. Er sah auf die Uhr.
»Ja, dann bis morgen. Ach eines noch, jetzt würde es mich doch interessieren: Was hatte jetzt dieser – wie hieß er noch – Reininger Sepp – was hat der für eine Möglichkeit gefunden, um das Geld – wie soll ich sagen – genau zu terminieren?«
»Da müssten Sie aber jetzt selbst draufkommen, Herr Rechtsanwalt!«
»Nein, tut mir leid. In den Papierkorb –? Nein, vielleicht in den Ofen, in den Kamin –«
»Viel einfacher. Wir sind Bestatter, überlegen Sie einmal.«
»Ah! Jetzt verstehe ich!«
»Er hat einen Sarg gekauft bei uns. Zu Lebzeiten. Das ist nichts Besonderes, das machen viele. Wir haben ein riesengroßes Sarglager –«
»- gehabt!«, warf Ignaz ein.
»- gehabt, ja, und da kann so ein Sarg schon einmal zehn, zwanzig Jahre stehen, bis er zu seinem endgültigen Einsatz kommt. Der Reininger Sepp hat sich also den Sarg gekauft, er hat alle paar Monate bei uns vorbeigeschaut und ein bisserl geratscht mit uns. Dann hat er gefragt, ob er sich seine letzte Ruhestätte anschauen kann. Alleine.«
»Das ist auch noch nichts Besonderes. Das machen auch viele. Das hat etwas Meditatives, etwas Philosophisches.«
»Und so hat er es dann getrickst, der Reininger Sepp. Er hat die zwei- oder auch dreihunderttausend Euro in die Abdeckung zwischen Außenholz und Innenfurnier verteilt. Und wenn er wieder was gehabt hat, ist er zu uns gekommen. Er hat bei uns hinten im Holzschupfen die beste und sicherste Bank der Welt gehabt. Keine Kontogebühren, keine Freistellungsanträge, kein Bankencrash, nichts.«
»Hören Sie, ich will die Details solcher Geschichten gar nicht so genau wissen. Das ist sicher ein Verstoß gegen das Steuerrecht. Aber eines interessiert mich doch: Wie haben Sie das erfahren?«
Ursel Grasegger gluckste.
»Der Ignaz schaut sich die Hölzer von den vorbestellten Särgen regelmäßig an.«
»Freilich tue ich das. Wegen der Holzwürmer. Das wäre doch peinlich, wenn der aufgebahrte Sarg während der Begräbnisfeier plötzlich auseinander fällt!«
»Und bei der Suche nach Holzwürmern hat er dann das ganze Geld entdeckt.«
»Da ist mir klar geworden, warum der Reininger Sepp sich seinen Sarg gar so oft angeschaut hat.«
»Was ich besonders schön gefunden habe«, sagte Ursel mit einem liebevollen Seitenblick auf ihren Gatten, »dass der Ignaz mir das nicht verschwiegen hat. Dass er das ganze Geheimnis mit mir geteilt hat.«
»Vielleicht habe ich ja nur das halbe Geheimnis mit dir geteilt«, sagte Ignaz neckisch. »Vielleicht war es ja viel mehr Geld.«
Ursel lächelte.
»Es ist jedenfalls jetzt unter der Erde?«, sagte Goldacker, eine Spur zu interessiert.
»Nein, Herr Advokat. Dieser Sarg ist doch zusammen mit unserem Haus verbrannt, bei dem Feuer, das wir vor drei Jahren legen mussten, um Spuren zu beseitigen.«
Rechtsanwalt Goldacker schluckte. Saubere Mandanten hatte er da an Land gezogen. Aber Philipp, der vierundzwanzigjährige Sohn der Graseggers, den er noch nie gesehen hatte, überwies das Anwaltshonorar regelmäßig und pünktlich. Und das hatte er durch einen Privatdetektiv überprüfen lassen: Es war legales, zurückverfolgbares Geld.
»Ja, dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend!«, sagte Goldacker und verschwand.
Als die Graseggers zu Hause waren, warfen sie die Schuhe weit von sich und setzten sich auf die Terrasse. Heimat! Hoamatel! Im Werdenfelser Tal! Die lang entbehrte Kulisse! Blaugrau wuchsen die Berge vor ihnen empor, und sie saßen schweigend da und saugten die lange vermisste Pracht genüsslich ein.
»Ich möchte nie mehr weggehen von
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