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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Klingelknopf unter dem Tisch zu drücken?«
    »Wir haben das Signal jedenfalls gehört.«
     
    Zum Einstieg
hieß die Kneipe, und sie tranken dort unauffällig zwei oder drei Bier. Ihr Heimweg führte sie über die Calgarystraße, die Chamonix-Straße und die Sapporostraße, den geländegängigen Pickup-Truck, der ihnen auf der Innsbrucker Straße entgegenkam, beachteten sie nicht. Er hatte das Nummernschild des Kurorts, doch es saßen keine Einheimischen drin. Der Pickup fuhr ortsauswärts, die Musik aus dem CD -Player klang nach Balkanpunk oder Russenrock, nach finnischem Tango oder einfach nur nach falscher Geschwindigkeit. Die Fahrerin sang lauthals mit.
    »Liebe Nadja«, rief eine Frau aus dem überdachten Laderaum nach vorn. »Stell bitte die Musik leiser. Das ist ja nicht zum Aushalten!«
    »Und jetzt zu dir, Boris«, sagte die lärmempfindliche Frau zu ihrem Gegenüber hinten im Laderaum. »Fünftausend Milligramm Thiopental habe ich gesagt, nicht fünfhundert! Hörst du schlecht? Mit was für Idioten umgebe ich mich!«
    »Wenn ich ehrlich sein soll, Wanda: Ich hätte es besser gefunden, ihn zu erschießen.«
    »Gerade läuft alles wie geschmiert, wir haben so gute Informationen von diesem Dombrowski – und du versaust alles.«
    »Fünfhundert, fünftausend – Er ist tot, glaub mir, Wanda.«
    »Hast du dich überzeugt?«
    »Kein Puls, kein Pupillenreflex, kein Atem, nichts. Für eine tausendprozentige Untersuchung war keine Zeit mehr. Es klopfte an der Tür, ich habe ihn schnell unter den Tisch geschoben. An der Tür stand eine ältere Dame, sie wollte zu Dr. Patzelt, ich habe sie abgewimmelt, dann bin ich abgehauen. Aber er ist hundertprozentig tot.«
    Wanda blickte immer noch skeptisch.
    »Wie dem auch sei. Das Wichtigste ist, dass ab sofort keiner unserer Kunden bei diesem Dr. Patzelt in die Falle tappt. Unsere anderen Geschäfte sind davon ja nicht betroffen, die lassen wir weiterlaufen wie bisher. – Verdammt nochmal, Nadja, stell die Musik da vorne leiser.«
    »Nur dies eine Lied noch, Wanda«, sagte die Fahrerin – und da röhrte sie auch schon los, das neue Sternchen am Himmel des finnisch-russischen Punks, Zvetlana  II ., genannt Ivan, die Schreckliche.

25 .
    Im Gegensatz zu Nicole Schwattke aus Recklinghausen hatten Ignaz und Ursel Grasegger keinerlei Probleme mit dem knorzigen, fast schon tirolerischen Oberlanddialekt, den man seit zweitausend Jahren hier im Loisachtal sprach, den man vermutlich schon gesprochen hatte, als Hannibal mit seinen Elefanten hier durchgekommen war.
     
    »Ja, wo kommts denn Es her!?«, rief die Drohner Walburga, und sie konnten im selben Föhn-Slang antworten. Sie erzählten ihr alles haarklein. Dass sie lange in Italien gelebt hätten, in einem abgelegenen Dorf, in einer schönen Villa mit Blick auf die Reisfelder der Po-Ebene, dass ihnen das aber auf Dauer nicht getaugt hätte, das Heimweh hätte sie heimgetrieben, die Sehnsucht nach der unverwechselbaren Bergkulisse, die Sehnsucht nach den eiweißreichen kulinarischen Spezialitäten des Oberlandes. Die Sehnsucht nach Knöcherlsülze, Farchanter Wurstsalat, Topfennudeln, Eiergerstelsuppe, paniertem Wammerl, Eadepfeschweafalan –
    »Hörts auf damit!«, sagte die Drohner Walburga. »Da kriegt man ja direkt Appetit!«
    »Italien ist schön und gut«, sagte Ursel, »aber es ist halt zu flach und zu trocken für unsereins.«
    »Und zu ölig«, ergänzte Ignaz. »Wenn du seit Generationen Butter gewöhnt bist, verträgst du kein Öl mehr.«
    Die Zanner Resl, eine leibhaftige G’sundbeterin, die mit großem Erfolg Warzen wegbetete, kam dazu.
    »Und wo wohnt ihr jetzt? Euer Haus ist doch damals abgebrannt!«
    »Ja, wenn wir das Haus noch hätten!«, seufzte Ursel. »Aber wir hätten es ja sowieso nicht mehr halten können. Als Bestatter dürfen wir nicht mehr arbeiten, wir haben Berufsverbot. Wenn wir die Kinder nicht hätten!«
    »Und was machen eure Kinder?«
    »Der Bub, der Philipp, der ist jetzt vierundzwanzig. Er arbeitet in der Computerbranche.«
    »Und die Lisa?«
    »Die ist siebzehn, die geht noch in die Schule, in der Schweiz.«
    »So, in eine Schweizer Schule! Das wird ja nicht gerade billig sein.«
    Frau Neuner vom gleichnamigen Andenkenladen, eine elegant gekleidete Dame mit kunstvoll geflochtenem Werdenfelser Dutt, unterbrach kurz die Grabpflege und sah auf.
    »Aber die Schweizer Schulen sind halt nun mal die besten.«
     
    Die Ankunft der Graseggers hatte sich schnell herumgesprochen. Immer mehr

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