Oberwasser
Zeitung geschaut, Ignaz? Eine unglaubliche Geschichte läuft da zur Zeit: Der Jennerwein jagt einen Wilderer. Mit sowas beschäftigen die sich hier!«
Polizeiobermeister Johann Ostler kam in den Warteraum. Er betrachtete das sonderbare Trio: Die beiden Graseggers waren braungebrannt und von stattlicher Leibesfülle, sie hatten in den drei italienischen Jahren wohl nicht ganz so konsequent auf tierische Fette verzichtet. Beide waren in werktäglicher Bauerntracht erschienen, Johann Ostler sah mit einem Blick, dass es feinste Stoffe waren, die sie da trugen. Maximilian Goldacker hingegen, der blasse Advokat, der schon einige Spitzbuben aus der Gegend vertreten hatte, war städtisch gekleidet, er trug Anzug und Krawatte. Die Graseggers erschienen souverän und abwartend, Goldacker hielt nervös und verkrampft sein Aktenköfferchen umklammert.
»Sie müssen sich noch einen Augenblick gedulden«, sagte Ostler. »Kriminalhauptkommissar Jennerwein kommt gleich zu Ihnen –«
»Wir haben ja Zeit«, sagte Ignaz ironisch. »Arbeiten dürfen wir ja nicht mehr.«
»Ruhig, ruhig!«, zischte Goldacker leise. »Beherrschen Sie sich. Wir brauchen die Unterschrift des Kommissars, bis dahin reißen Sie sich gefälligst zusammen.«
»Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn der Kommissar Zeit hat«, sagte Ostler und verließ das kleine Wartezimmer. Die Minuten vergingen, alle drei warteten schweigend.
Goldacker hatte eine berufsbedingte Abneigung gegen das Schweigen.
»Also, erzählen Sie schon: Wie war das jetzt mit diesem Reininger Sepp?«, fragte er.
»Der Reininger Sepp war Bauunternehmer, und sein Baugeschäft ist ausgesprochen gut gelaufen«, sagte Ignaz, und ein verschmitztes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Im Lauf der Zeit hat sich einiges auf dem Bankkonto angesammelt, zwei- oder dreihunderttausend Euro werden es schon gewesen sein. Vielleicht waren es auch vierhunderttausend. Aber der Reininger Sepp wollte partout nicht, dass seine undankbaren Kinder das erben, nicht einmal den Pflichtteil hat er ihnen vergönnt. Also hat er das Geld abgehoben. Aber wohin jetzt mit den Scheinen? Er musste ein Versteck finden, auf das er zwar zu Lebzeiten jederzeit zugreifen konnte, das sich aber im Fall seines Todes quasi in Luft auflöst!«
»Seltsame Gespräche sind das schon in einem Polizeirevier«, sagte Goldacker und blickte nervös zur Tür.
»Wieso?«, fragte Ursel unschuldig. »Dieses Problem haben doch viele: Wohin mit den parfümierten Liebesbriefen des Liebhabers, die nach dem eigenen Tod niemand sehen soll, an denen man aber zu Lebzeiten immer wieder schnuppern will? Wohin mit belastendem Material, das man zeitlebens für Erpressungen braucht, das aber im Fall des Falles, um den Nachruf nicht zu gefährden, verschwinden soll?«
»Man bittet einen Freund –«, sagte Goldacker.
»Einen Freund? Ich weiß nicht so recht.«
»Man vergräbt das Geld?«
»Das ist viel zu unsicher.«
»Man steckt es – in den Papierkorb?«
»Schon besser, Herr Advokat«, sagte Ignaz. »Und zwar in den Papierkorb seines eigenen Zimmers. Man besteht vor der Ehefrau darauf, ihn selbst zu leeren. Im Todesfall aber wird die Ehefrau im ganzen Haus nach dem Geld suchen – den Papierkorb aber wird sie vermutlich ahnungslos entsorgen!«
»Ja, so könnte es funktionieren«, sagte Goldacker und blickte ängstlich stöhnend in Richtung Tür.
»Der Reininger Sepp aber«, sagte Ursel, »der hat ein noch besseres Versteck gehabt. Ein todsicheres Versteck!«
»Kaum ist die Familie Grasegger da, geht es schon wieder um todsichere Verstecke!«, sagte Jennerwein, der mit Ostler hereingekommen war.
Das Trio erhob sich, die Graseggers überragten den Rechtsanwalt um Haupteslänge.
»Meine Mandanten haben einen Termin bei Ihnen, wegen der Meldeauflage vom Gericht, wir bitten um Ihre Unterschrift.«
»Meldeauflage?«, fragte Jennerwein kopfschüttelnd. »Die Familie Grasegger hat vor, sich hier im Ort niederlassen?«
»Wir sind hier aufgewachsen«, sagte Ignaz trocken. »Es ist unsere Heimat. Wir haben ein Recht darauf, uns hier wieder anzusiedeln.«
»Nun, die juristische Lage ist die«, sagte Goldacker. »Meine Mandanten sind vor drei Jahren übereilt aus dem Kurort – sie haben den Ort verlassen und fanden es besser, sich einige Zeit in Italien aufzuhalten. Dann aber nahm das angesprochene Heimweh überhand, und so etwas ist nicht kontrollierbar. Deshalb haben sie vor einigen Monaten beschlossen, sich den Behörden zu stellen.
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