Oblomow
beunruhigender Gedanken gepeinigt.
»Wenn wenigstens Stolz bald käme«, sagte er, »er schreibt, daß er bald hier sein wird, und treibt sich dabei Gott weiß wo herum! Er hätte mir alles geordnet.«
Er wurde wieder traurig. Lange Zeit schwiegen beide. Endlich kam Oblomow als erster zur Besinnung.
»Man muß folgendes tun!« sagte er entschlossen und wäre fast aufgestanden, »und das muß möglichst bald geschehen, man darf nicht zögern ... Erstens ...«
Da ertönte ein verzweifeltes Läuten im Vorzimmer, so daß Oblomow und Alexejew zusammenfuhren und Sachar augenblicklich von der Ofenbank herabsprang.
Drittes Kapitel
»Zu Hause?« fragte jemand im Vorzimmer laut und grob. »Wohin soll man um diese Zeit gehen?« antwortete Sachar noch gröber.
Es kam ein etwa vierzigjähriger Mann herein, der einer stämmigen Rasse anzugehören schien, groß, in den Schultern und im ganzen Körper breit war, ausgeprägte Gesichtszüge, einen großen Kopf, einen stämmigen kurzen Nacken, große Glotzaugen und dicke Lippen besaß. Ein flüchtiger Blick auf diesen Menschen erzeugte die Vorstellung von etwas Grobem und Unsauberem. Man sah, daß er sich nicht um die Eleganz seines Anzuges kümmerte. Man kam selten dazu, ihn ordentlich rasiert zu sehen. Doch das war ihm offenbar gleichgültig; seine Kleidung brachte ihn nicht in Verlegenheit und wurde von ihm mit einer zynischen Würde getragen. Das war Michej Andrejitsch Tarantjew, Oblomows Landsmann.
Tarantjew blickte alles düster an, mit halber Verachtung und offenkundiger Feindseligkeit seiner Umgebung gegenüber, er war bereit, über alle und alles auf der Welt zu schimpfen, als wäre er ungerecht gekränkt oder in irgendeiner seiner Eigenschaften verkannt worden, wie ein selbständiger, vom Schicksal verfolgter Charakter, der sich nur unfreiwillig und protestierend fügt. Seine Bewegungen waren selbstbewußt und schwungvoll; er sprach laut, dreist und fast immer zornig; wenn man ihm aus der Ferne zuhörte, schien es, drei leere Fuhren rasselten über eine Brücke. Er ließ sich durch niemands Anwesenheit einschüchtern, suchte nicht lange nach Ausdrücken und war überhaupt immer mit allen grob, ohne seine Freunde auszuschließen, als wollte er einen jeden fühlen lassen, daß er ihm durch sein Sprechen, selbst durch sein Teilnehmen am Mittagessen oder Abendbrot eine große Ehre erwies.
Tarantjew war schlagfertig und schlau; niemand konnte besser als er eine Frage des alltäglichen Lebens oder eine verwickelte juridische Angelegenheit klarlegen: er stellte sogleich eine Theorie auf, wie in dem einen oder dem andern Fall zu handeln war, führte sehr treffende Beweise an und wurde zum Schluß fast immer gegen denjenigen, der seinen Rat begehrt hatte, grob.
Dabei bekleidete er selbst, trotz seiner grauen Haare, noch dasselbe Schreiberamt in irgendeiner Kanzlei, das er vor fünfundzwanzig Jahren angenommen hatte. Es fiel weder ihm noch irgend jemand anderem ein, daß er avancieren könnte. Die Sache war die, daß Tarantjew nur gut zu sprechen verstand; in der Theorie entschied er alles, besonders das, was andere anging, klar und leicht. Sowie er aber nur einen Finger bewegen, sich erheben oder überhaupt den von ihm selbst erdachten Plan anwenden, der Sache eine praktische Richtung geben und sie schnell in Gang bringen sollte, wurde er ein ganz anderer Mensch: dazu reichte es bei ihm nicht aus, es wurde ihm plötzlich zu viel, bald war er unwohl, bald schickte es sich nicht oder es fiel ihm etwas Neues ein, das er auch nicht in Angriff nahm, oder aus dem, wenn er es tat, Gott weiß was herauskam. Dann war er wie ein Kind: bei dem einen paßte er nicht genug auf, bei dem andern wußte er irgendeine Kleinigkeit nicht, oder er kam zu spät und ließ die Sache zum Schluß halbvollendet, oder er packte sie beim verkehrten Ende an und verhunzte alles in einer solchen Weise, daß man es gar nicht wieder gutmachen konnte, und dabei war er noch imstande zu schimpfen.
Sein Vater, der ein altmodischer Gerichtsschreiber in der Provinz war, wollte seinem Sohn seine Kunst und Erfahrung, sich mit fremden Angelegenheiten abzugeben, und seine mit Erfolg zurückgelegte Laufbahn in Amtsdiensten als Erbe überlassen, doch das Schicksal fügte es anders. Der Vater, der, wie es einst in Rußland üblich war, sich seine Bildung für ein paar Kupfermünzen angeeignet hatte, wollte seinen Sohn mit der Zeit mitgehen lassen und wünschte, ihm auch außer der schwierigen Kunst, fremde
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