Oblomow
1 in jedem wohlhabenden Hause sich ein Schwarm ähnlicher Persönlichkeiten beiderlei Geschlechtes drängt, ohne Brot, ohne Beschäftigung, ohne Hände, um etwas zu produzieren, nur mit einem Magen, um zu konsumieren, aber fast immer mit einem Rang und einem Titel. Es gibt noch Sybariten, für welche solche Anhängsel in ihrem Leben ein Bedürfnis sind: sie langweilen sich, wenn sie auf der Welt nicht etwas Überflüssiges haben. Wer wird eine irgendwohin verschwundene Tabatiere reichen, oder wer wird das auf den Fußboden herabgefallene Taschentuch aufheben? Wem kann man mit einem Anrecht auf Teilnahme über Kopfweh klagen, einen bösen Traum erzählen und dessen Deutung verlangen? Wer wird vor dem Schlaf vorlesen und einzuschlafen helfen? Und manchmal wird ein solcher Proletarier in die nächste Stadt zum Einkauf geschickt und hilft in der Wirtschaft mit – man wird sich doch mit diesen Dingen nicht selbst befassen!
Tarantjew machte viel Lärm und rüttelte Oblomow aus seiner Unbeweglichkeit und Langeweile auf. Er schrie, stritt und führte selbst etwas von der Art einer Vorstellung auf, indem er den faulen Edelmann von der Notwendigkeit zu sprechen und zu handeln befreite. Tarantjew brachte in das Zimmer, in welchem Schlaf und Ruhe herrschten, Leben, Bewegung und manchmal Kunde von außen, Oblomow konnte ohne einen Finger zu rühren etwas Lebendiges sehen und hören, das sich vor ihm bewegte und sprach. Außerdem war er noch einfältig genug zu glauben, Tarantjew wäre imstande, ihm tatsächlich etwas Brauchbares anzuraten.
Alexejews Besuche wurden von Oblomow aus einem anderen, nicht minder wichtigen Grunde geduldet. Wenn er die Zeit nach seinem Geschmack verbringen, d.h. schweigend daliegen, schlummern oder im Zimmer auf und ab gehen wollte, schien Alexejew gar nicht anwesend zu sein; er schwieg gleichfalls, schlummerte oder blickte in ein Buch hinein und betrachtete mit einem faulen Gähnen, bis zu Tränen, die Bilder und Kleinigkeiten. Er konnte drei Tage ununterbrochen auf diese Weise verbringen. Wenn das Alleinsein Oblomow aber lästig wurde, wenn er das Bedürfnis zu sprechen, zu lesen, zu räsonieren, irgendeine Erregung zu äußern, fühlte, hatte er stets einen gehorsamen und bereitwilligen Gesellschafter vor sich, der sein Schweigen und Sprechen, seine Aufregung und seine Denkweise, wie diese auch sein mochten, mit dem gleichen Diensteifer teilte. Die übrigen Gäste kamen selten, nur auf einen Augenblick, wie die früheren drei; das lebenskräftige Band, das ihn mit ihnen allen verbunden hatte, lockerte sich immer mehr und mehr. Oblomow interessierte sich manchmal für irgendeine Neuigkeit, für ein Gespräch von fünf Minuten, und schwieg dann befriedigt. Man mußte sich ihnen durch Aufmerksamkeit erkenntlich erweisen und an allem, was sie interessierte, teilnehmen. Sie ließen sich vom Menschenstrom forttragen; ein jeder von ihnen faßte das Leben auf seine Weise auf, so, wie Oblomow es nicht auffassen wollte; sie drängten ihn aber auch hinein. Das alles mißfiel ihm, stieß ihn ab, war ihm unangenehm. Nur ein Mensch war nach seinem Geschmack; auch dieser störte ihn in seiner Ruhe; auch dieser liebte das Neue, die Welt, die Wissenschaft und das ganze Leben, doch er liebte das alles tiefer, wärmer, aufrichtiger – und Oblomow, der mit allen freundlich war, liebte nur ihn allein von Herzen und glaubte nur ihm allein, vielleicht deswegen, weil er mit ihm zusammen aufgewachsen war, mit ihm zusammen gelernt und gelebt hatte. Das war Andrej Iwanitsch Stolz. Er war abwesend, doch Oblomow erwartete ihn stündlich.
Fußnoten
1 Die vom Familiennamen des Besitzers abgeleitete Benennung des Gutes.
Viertes Kapitel
»Guten Tag, Landsmann«, sagte Tarantjew kurz angebunden, seine zottige Hand Oblomow hinstreckend. »Warum liegst du noch bis jetzt wie ein Holzklotz da?«
»Komm nicht heran, komm nicht heran: du bringst Kälte mit«, sagte Oblomow, sich zudeckend.
»Was du dir einbildest! Ich sollte Kälte mitbringen?!« schrie Tarantjew auf. »Nimm nur die Hand, wenn man sie dir reicht! Es ist bald zwölf Uhr, und er liegt noch herum!«
Er wollte Oblomow vom Bett aufheben, doch dieser kam ihm zuvor, indem er die Füße rasch herabgleiten ließ und sofort in beide Pantoffeln zugleich schlüpfte.
»Ich wollte selbst bald aufstehen«, sagte er gähnend.
»Ich weiß schon, wie du aufstehen wolltest; du wärest bis zum Mittagessen liegen geblieben. He, Sachar! wo steckst du, alter Dummkopf? Hilf dem Herrn
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