Oblomow
um nachzusehen, wo das Pferd hingekommen ist. Er geht zum Tore hin; aber jetzt ertönt aus dem Fenster die Stimme der Mutter:
»Kinderfrau, siehst du nicht, daß das Kind in die Sonne gelaufen ist? Führe es in den Schatten; wenn ihm das Köpfchen heiß wird, tut es ihm weh, es wird ihm übel werden, und es wird nicht essen. Es wird noch zu dem Graben hinlaufen.«
»So ein Wildfang!« brummt leise die Kinderfrau, ihn zum Hause zurückführend.
Das Kind schaut und beobachtet mit scharfem, allumfassendem Blick, was die Erwachsenen tun und womit sie den Morgen verbringen. Kein einziges Detail, kein einziger Zug entgleitet der gespannten Aufmerksamkeit des Kindes; das Bild des häuslichen Lebens prägt sich unauslöschlich in die Seele ein; der noch ungeformte Verstand wird vom lebendigen Beispiel durchsetzt und zeichnet unbewußt das Programm seines Lebens nach dem es umgebenden Leben.
Man kann nicht sagen, daß der Morgen im Hause der Oblomows verlorenging. Das Klopfen der Messer, die in der Küche das Fleisch und das Gemüse zerhackten, drang selbst bis ins Dorf. Aus dem Dienstbotenzimmer drang das Zischen des Spinnrades und die leise, feine Stimme einer Frau herüber; es war schwer zu unterscheiden, ob sie weinte oder ein trauriges Lied ohne Worte improvisierte. Sowie Antip mit dem Faß auf den Hof zurückgekehrt war, kamen ihm aus allen Ecken Frauen und Kutscher mit Kübeln, Trögen und Krügen entgegen. Dort trug eine Alte eine Schüssel Mehl und einen Haufen Eier aus der Vorratskammer in die Küche; und jetzt schüttete der Koch plötzlich Wasser durchs Fenster aus und bespritzte damit die Arapka, die den ganzen Morgen kein Auge vom Fenster wendete, freundlich mit dem Schweif wedelte und sich beleckte.
Der alte Oblomow ist auch nicht ohne Beschäftigung. Er sitzt den ganzen Morgen am Fenster und beaufsichtigt unermüdlich alles, was auf dem Hofe vorgeht.
»He, Ignaschka! Was trägst du, Dummkopf?« fragte er den über den Hof schreitenden Mann.
»Ich trage die Messer in die Gesindestube zum Schleifen hin«, antwortete dieser, ohne den Herrn anzuschauen.
»Gut, trage sie nur hin und schleife sie ordentlich!«
Dann rief er irgendeiner Frau zu:
»He, Frau! Frau! Wohin bist du gegangen?«
»In den Keller, Väterchen«, sagte sie, indem sie stehenblieb, sich die Hand vor die Augen hielt und ins Fenster schaute, »ich habe Milch zum Mittagessen geholt.«
»Gut! geh, geh!« antwortete der Herr, »gib aber acht, daß du die Milch nicht ausschüttest. Und du, Sachar, du Lausbub, wohin rennst du wieder?« schrie er darauf, »ich werde dich das Herumrennen schon lehren! Ich sehe dich schon zum drittenmal über den Hof laufen. Marsch zurück, ins Vorzimmer!«
Und Sachar ging wieder ins Vorzimmer schlafen. Wenn die Kühe von der Weide zurückkehrten, sorgte der Alte als erster dafür, daß sie getränkt wurden; wenn er aus dem Fenster wahrnahm, daß der Hofhund ein Huhn verfolgte, traf er sofort strenge Maßregeln gegen diese Ruhestörung.
Auch seine Frau ist sehr beschäftigt; sie bespricht drei Stunden lang mit dem Schneider Awjerka, wie man aus dem Wams ihres Mannes ein Röckchen für Iljuscha herauskriegen soll, sie zeichnet selbst mit Kreide und paßt auf, daß Awjerka kein Tuch stiehlt; dann geht sie in die Mägdekammer und sagt jedem Mädchen, wieviel Spitzen sie den Tag zu flechten hat; dann ruft sie Nastassja Iwanowna oder Stjepanida Apapowna oder sonst irgendwen aus ihrem Hofstaat herbei, mit ihr im Garten spazierenzugehen, wobei sie praktische Ziele verfolgt; sie sieht nach, wie die Äpfel reifen, ob der gestrige, der schon reif war, herabgefallen ist, hier muß gepfropft, dort gestützt werden usw. Doch die größte Sorge war der Küche und dem Mittagessen gewidmet. Bezüglich des Mittagessens hielt das ganze Haus eine Versammlung ab, zu der auch die uralte Tante eingeladen wurde. Jeder schlug ein Gericht vor: der eine Suppe mit Gekröse, der andere Nudeln oder Magen oder Kaidaunen oder eine braune oder weiße Brühe als Sauce. Jeder Ratschlag wurde in Betracht gezogen, genau überlegt und dann nach dem endgültigen Beschluß der Hausfrau angenommen oder abgelehnt. Unaufhörlich wurde bald Nastassja Pjetrowna, bald Stjepanida Iwanowna in die Küche geschickt, um an etwas zu erinnern oder einen Befehl zu widerrufen, um Zucker, Honig, Wein zum Kochen hinzutragen und nachzusehen, ob der Koch alles Verabfolgte verbrauchte.
Die Sorge um das Essen bildete das hauptsächlichste Lebensinteresse in Oblomowka.
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