Oblomow
von seltsamen Gespenstern bevölkert; Angst und Bangigkeit hatten sich für lange Zeit, vielleicht für immer, in seiner Seele eingenistet. Er blickt traurig um sich, sieht im Leben nichts als Unheil und Gefahren und träumt immer von jenem Zauberland, wo es weder Unglück noch Sorgen noch Traurigkeit gibt, wo Militrissa Kirbitjewna lebt, wo man so gut bewirtet und umsonst bekleidet wird.
Das Märchen hielt in Oblomowka nicht nur die Kinder, sondern auch die Erwachsenen bis ans Ende des Lebens in seinem Bann. Alle im Hause und im Dorf, vom gnädigen Herrn und seiner Frau angefangen bis zum stämmigen Schmied Taraß – alle zittern sie vor etwas an einem dunklen Abend. Jeder Baum verwandelt sich dann in einen Riesen, jeder Busch in eine Räuberhöhle. Das Klappern des Fensterladens und das Heulen des Windes im Rauchfang machte die Männer, die Frauen und die Kinder erblassen. Niemand ging am Dreikönigstag nach zehn Uhr abends allein aus dem Tor hinaus; ein jeder fürchtete sich, in der Nacht vor Ostern in den Stall zu gehen, da er dort einen Kobold anzutreffen fürchtete. In Oblomowka glaubte man an alles: an Werwölfe und Gespenster. Wenn man ihnen erzählte, daß eine Heugarbe auf dem Felde herumspaziert sei, würden sie, ohne weiter nachzudenken, daran glauben; wenn jemand das Gerücht verbreiten wollte, das sei kein Hammel, sondern etwas anderes, oder daß Marfa oder Stjepanida eine Hexe sei, würden sie sich sowohl vor dem Hammel als auch vor Marfa fürchten; es würde ihnen nie einfallen, zu fragen, warum der Hammel kein Hammel mehr sei und warum Marfa sich in eine Hexe verwandelt habe, und sie würden noch über denjenigen herstürzen, der daran zu zweifeln gewagt hätte – so stark war der Glauben an das Wunderbare in Oblomowka!
Ilja Iljitsch wird ja später sehen, daß die Welt einfach eingerichtet ist, daß die Toten nicht aus den Gräbern steigen, daß Riesen, sowie sie sich zeigen, auf den Jahrmarkt kommen und daß Räuber ins Gefängnis gesperrt werden; wenn aber der Glaube an die Gespenster auch verschwindet, bleibt doch ein Überrest von Angst und unfaßbarer Bangigkeit zurück. Ilja Iljitsch hat erfahren, daß es keine Ungeheuer gibt, die Unheil anrichten, er weiß aber kaum, wodurch es verursacht wird, erwartet bei jedem Schritt etwas Schreckliches und fürchtet sich; auch jetzt noch zittert er, von einer unbezwinglichen, in der Kindheit in seine Seele gesäten Bangigkeit erfaßt, wenn er im dunklen Zimmer bleibt oder einen Toten sieht; er lacht des Morgens über seine Angst und erbleicht wieder am Abend.
Dann sah sich Ilja Iljitsch als dreizehn-, vierzehnjährigen Knaben. Er lernte schon im Flecken Werchljowo, fünf Werst von Oblomowka entfernt, beim dortigen Verwalter, dem Deutschen Stolz, der für die Kinder der Edelleute der Umgegend ein kleines Pensionat eingerichtet hatte. Er hatte einen eigenen Sohn, Andrej, der fast im selben Alter wie Oblomow war, und noch einen Knaben, den er aufgenommen hatte, der fast niemals lernte, sondern meistens an Skrofeln litt und die ganze Kindheit mit verbundenen Augen oder Ohren verbrachte; er weinte heimlich, weil er nicht bei der Großmutter, sondern in einem fremden Hause inmitten von Bösewichtern lebte, weil niemand ihn liebkoste und niemand ihm seinen Lieblingskuchen backte. Außer diesen Kindern gab es keine anderen in der Pension.
Vater und Mutter mußten sich darein fügen und den Wildfang Iljuscha lernen lassen. Das kostete Tränen, Heulen und Launen. Endlich führte man ihn fort. Der Deutsche war ein tüchtiger, strenger Mensch, wie fast alle Deutschen. Vielleicht hätte Iljuscha bei ihm auch etwas Ordentliches gelernt, wenn Oblomowka von Werchljowo fünfhundert Werst entfernt gewesen wäre. Wie sollte er aber so lernen? Der Reiz der Oblomower Umgebung, Lebensweise und Gewohnheiten erstreckte sich bis nach Werchljowo; auch dort war ja einst Oblomowka gewesen; dort atmete alles, außer dem Stolzschen Hause, dieselbe Trägheit, Ungekünsteltheit der Sitten, Ruhe und Reglosigkeit aus. Der Verstand, das Herz des Kindes waren von allen Bildern, Szenen und Sitten dieses Lebens erfüllt, bevor es das erste Buch in die Hand bekam. Und wer weiß, wie früh die Entwicklung des geistigen Kernes im kindlichen Hirn beginnt? Wie kann man das Keimen der ersten Begriffe und Eindrücke in der kindlichen Seele verfolgen? Vielleicht während das Kind die Worte noch kaum aussprach oder auch noch gar nicht aussprach und selbst noch nicht gehen konnte und nur alles
Weitere Kostenlose Bücher