Ocean Rose Trilogie Bd. 3 - Erfüllung
Baseballkappe auf. Er hielt den Kopf gesenkt und hatte die Hände in den Taschen vergraben. Unter einen Arm hatte er ein großes, unförmiges Paket geklemmt. Er ging schnell und zielgerichtet auf die Treppe zu.
»Woher willst du wissen, dass wir ihn kennen?«, fragte ich. »Man kann sein Gesicht doch gar nicht sehen.«
Genau in diesem Moment rempelte er unabsichtlich einen der Männer vorm Eingang an, der ihn wütend anschnauzte. Unser Stalker wandte sich dem Mann zu, so dass für den Bruchteil einer Sekunde sein Profil von der Kamera eingefangen wurde.
»Geh mal zurück an die Stelle«, forderte Simon Paige auf und tippte mit dem Daumen auf den Balken, der unten am Computer die Filmminuten anzeigte. »Dann können wir ein Standbild daraus machen und es uns genauer ansehen.«
»Schon okay«, sagte ich. »Ist nicht nötig.«
Denn Paige hatte recht gehabt. Wir kannten den Stalker. Ich kannte den Stalker. Und ich hatte genug Zeit mit ihm verbracht, um ihn innerhalb eines Sekundenbruchteils identifizieren zu können.
Der junge Mann auf dem Film war Colin. Der Sohn unserer Maklerin.
Ich hatte schon den Mund geöffnet, um die anderen darüber aufzuklären, als mein Handy sich meldete. Der Klingelton war ein altmodisches Gebimmel, vertraut und beruhigend, denn so hatte Dads vorsintflutliches Telefon in seinem Bostoner Bürozimmer immer geklungen. Genau deshalb hatte ich ihn ausgesucht, um Anrufe von unserem neuen Bungalow anzuzeigen.
»Sorry«, sagte ich und holte das Handy aus meiner Hosentasche, wo ich es auf dem Rückweg vom Berggipfel verstaut hatte, um jederzeit schnell erreichbar zu sein. »Das sind meine Eltern. Ich sollte besser rangehen.«
Ich war dankbar für die Ablenkung. So konnte ich erst einmal verarbeiten, was ich gerade gesehen hatte. Ich wandte mich ab und stellte mich vorn ans Balkongeländer.
»Hi, Dad. Worum geht’s?«
»Vanessa, ich bin es.« Moms Stimme klang angestrengt und besorgt. »Du musst sofort nach Hause kommen. Bitte.«
Bevor ich fragen konnte, was denn los war, füllte Charlottes Stimme meinen Kopf.
Vanessa, mein Liebling, gib gut auf dich acht.
Ich weiß, du bist stark … nun wirst du herausfinden müssen, was wahrer Mut für dich bedeutet.
Kapitel 21
G laub mir, mein Schatz«, sagte Mom, »da willst du jetzt nicht reingehen.«
Sie hatte sich vor der Tür des Gästezimmers postiert und hielt ein zerknülltes Taschentuch umklammert. Ich trat einen Schritt nach links, dann nach rechts, und sie kopierte meine Bewegungen, als sei ihr Körper eine Schutzmauer, die ich nicht durchbrechen konnte.
»Doch, will ich.« Meine Stimme war ruhig und entschlossen.
»Vanessa«, bat Dad leise und berührte meinen Arm. »Sie ist nicht … ich meine, sie hat … du weißt ja nicht, wie …«
Er verstummte und ließ den Kopf hängen. Mit Daumen und Zeigefinger schob er sich die Brille auf der Nase zurecht und rieb sich unauffällig über die Augen. Trotzdem liefen ihm ein paar Tränen durch die Finger.
»Sie sieht anders aus, als du sie in Erinnerung hast.« Auch Moms Augen waren feucht, aber sie reichte ihr Taschentuch an Dad weiter.
»Ich war doch erst gestern Abend bei ihr«, protestierte ich. »Und mir ist egal, wie schlecht ihr Zustand ist. Ich bin sicher, ich habe im letzten Jahr schon Schlimmeres gesehen.«
Mom blinzelte, wodurch nur noch mehr Tränen ihre Wangen herunterliefen. »Das ist erst recht ein Grund, jetzt nicht ins Zimmer zu gehen.«
»Du hast mich vor einer Viertelstunde angerufen und gesagt, ich solle sofort kommen. Da wolltest du doch anscheinend, dass ich sie sehe. Was hat sich in diesen paar Minuten geändert?«
Dad stieß einen langen, zitterigen Atemzug aus und hob den Blick. »Sehr viel.«
Mom streckte die Hand aus und strich mir das Haar aus dem Gesicht. »Warum gehst du nicht in dein Zimmer und legst dich eine Weile hin? Dein Vater und ich kümmern uns um alles.«
Ich schaute weg. So traurig hatte ich sie seit letztem Sommer nicht mehr gesehen und fürchtete, ich könnte auch gleich anfangen zu weinen. Aber wenn ich die beiden überzeugen wollte, dass ich emotional stabil genug war, um mit eigenen Augen zu sehen, was auf der anderen Seite der Tür lag, dann musste ich mich jetzt zusammenreißen.
An der Tür klingelte es. Mom schniefte noch einmal, richtete sich energisch auf und zog den Saum ihrer Bluse zurecht. Ich ertappte sie nicht dabei, aber sicherlich warf sie Dad einen Blick zu, der klar sagte, er solle mir in ihrer Abwesenheit den Weg
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