Ocean Rose Trilogie Bd. 3 - Erfüllung
eine schwarze Stange mit einem silbernen Knauf entgegen.
»Was glaubst du, wozu man das hier braucht?«
»Um eine Symphonie zu dirigieren?«
Er lachte. »Stimmt, danach sieht es wirklich aus. Oder auch wie ein Zauberstab. Der würde mir jetzt sehr gelegen kommen.«
Ich kauerte mich neben ihn. »Klassische Musik ist eher dein Gebiet. Wozu brauchst du denn magische Tricks?«
Seufzend hockte er sich auf den Boden und zeigte mit dem Stab auf das schmiedeeiserne Tor.
»Die Seejungfrauen? Willst du sie zum Leben erwecken?« Ich machte es mir neben ihm bequem. »Sorry, aber da kommst du zu spät, Big Papa. Diese Magie gibt es schon.«
Er schaute mich ungläubig von der Seite an. Ich zuckte nur mit den Schultern.
»Nein, im Gegenteil«, erwiderte er. »Ich will sie abmontieren.«
Ich wollte schon nach dem Grund fragen, aber dann schluckte ich die Worte hinunter. Denn warum hätte er diese lästige Erinnerung an ihrem Platz lassen sollen? Zwar gab es einige wesentliche Unterschiede zwischen Seejungfrauen und Sirenen – Nixen hatten Fischschwänze und dafür keine mörderischen Instinkte –, aber trotzdem wurden sie in Mythen und Populärkultur gern miteinander vermischt.
»Deine Mutter zuckt jedes Mal zusammen, wenn wir auf das Tor zufahren. Ich glaube, diese Reflexbewegung fällt ihr selbst nicht einmal auf. Aber mir schon.«
»Hat sie dich gebeten, die Nixen abzunehmen?«
»Natürlich nicht. Würde sie mal eine Sekunde an sich selbst denken, dann hätte sie längst einen Schlosser beauftragt, das zu erledigen. Wir wissen alle, dass ich nicht der geborene Heimwerker bin.« Er schüttelte den Kopf. »Aber da sie sich seit Ewigkeiten nur noch um die Bedürfnisse anderer kümmert, muss ich eben einspringen.«
Eine lobenswerte Einstellung … trotzdem deprimierte sie mich. Dad liebte Mom über alles. Die beiden waren seit zwanzig Jahren verheiratet, und er trug sie immer noch auf Händen. Und Mom liebte ihn genauso, sonst hätte sie ihm kaum seinen Seitensprung verziehen und mich als viertes Mitglied in die Familie aufgenommen. Siebzehn Jahre lang hatte sie mich wie ihre eigene Tochter behandelt. Meine Anwesenheit musste sie ständig an Dads Untreue erinnert haben, und trotzdem hatte sie sich damit abgefunden und damit gelebt.
Aber das letzte Jahr hatte sie auf eine Weise belastet, die jede andere Ehefrau und Mutter in den Zusammenbruch getrieben hätte. Zuerst hatte sie Justine verloren, ihre einzige wahre Tochter. Kurz darauf wäre ich fast gestorben. Und das alles wegen einer Gruppe von Fantasygeschöpfen, die uns bis dahin nur in Büchern begegnet waren … und zu denen ich nun auch gehörte, ob ich nun wollte oder nicht.
Was für ein Liebesbeweis, dass meine Eltern nach diesen unvorstellbaren Umwälzungen noch zusammen waren! Aber leicht war es für sie trotzdem nicht. Obwohl Dad inzwischen wusste, dass sein Seitensprung mit Charlotte Bleu nur zu einem kleinen Teil seine eigene Schuld war, machte er sich immer noch Vorwürfe. Das schlechte Gewissen würde nie ganz verschwinden. Und ich wusste, dass er den Rest seines Lebens damit verbringen würde, es wiedergutzumachen.
»Was hast du ihr gesagt?«, fragte ich nach einer Weile, noch immer in meinen düsteren Gedanken versunken.
»Wann?«
Ich zögerte. »Als du dich bei ihr entschuldigt hast.«
Er antwortete nicht gleich, sondern dachte darüber nach. Meine Frage war recht allgemein gewesen, denn mir war klar, dass er sich mehr als einmal entschuldigt hatte. Also dachte er jetzt automatisch an die Situation, die sich ihm am meisten eingebrannt hatte, weil sie am schwierigsten gewesen war. Ich wollte ihn mit meiner Frage nicht quälen, und die näheren Umstände waren mir eigentlich egal. Aber ich wollte wissen, was man in solch einer Situation sagen konnte, um die Partnerschaft zu retten.
»Na ja … was man eben so sagt. Ich habe mich entschuldigt und ihr versichert, dass ich ihr nie weh tun wollte. Ich habe gesagt, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich alles besser machen. Aber ich könnte verstehen, dass sie mich am liebsten rauswerfen und nie wiedersehen würde.«
»Und das hat funktioniert?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Nein.«
»Oh.«
»Sie hätte mich verlassen, wenn ich am Ende nicht noch einen Satz hinzugefügt hätte.« Er schaute mich an. »Ich sage ihn dir gleich, aber erst will ich klarstellen, dass ich ihr zu diesem Zeitpunkt nichts von dir erzählt hatte. Denn hätte sie gewusst, dass ich ein mutterloses Kind habe,
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