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Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel

Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel

Titel: Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Verzweiflung.
    »Okay«, sagte Rubin ruhig, und seine Stimme wurde fern und entfremdet. Die Worte trudelten eins nach dem anderen nach oben, als sei ein schwerer Fels von ihnen gerollt worden. »Wir waren Fallschirmjäger, beispielhafte Jungen, mit Idealen und allem … meiner Ansicht nach sind wir in etwa in Ihrem Alter, oder?«
    Michael nickte schweigend.
    »Dann wissen Sie, wovon ich spreche«, sagte Rubin, »Sie verstehen also genau, was ich mit ›Fallschirmjäger, beispielhafte Jungen‹ meine, denn zu jener Zeit, vor dreißig Jahren, waren … ich weiß nicht … man kann solche Dinge nicht erklären … Was werden Sie denn sagen, bitte? Dass ich Kommandant sein wollte? Voll militärischer Ambitionen war? Dass ich deswegen einen Befehl erfüllte? Konnte man einen Befehl verweigern? Vielleicht, weil es so heiß war … weil wir so viele Kameraden verloren hatten … wer weiß schon wirklich, warum jemand zu irgendeiner Zeit irgendetwas macht? Es war so: Man hat uns hingestellt, um ägyptische Kriegsgefangene zu bewachen. Sechzig, siebzig Leute saßen da, ganz still. Unserer Gnade ausgeliefert, wie man so schön sagt. An Händen und Füßen gefesselt. In dieser Hitze, die dort herrschte, in Ras Sudar, sogar im Oktober, es war ein unerträglich heißer Tag …« Er verstummte und gab ein Geräusch von sich, das einem Stöhnen glich. »Ich kann es vor mir sehen, als sei es gestern gewesen oder vor einer Stunde«, sagte er dann. »Man hatte ihre Gesichter bedeckt, vielleicht deswegen – deswegen …« Er brach erstickt ab.
    »Deswegen …?«, echote Michaels Stimme.
    »Deswegen«, sagte Rubin, »konnten wir nachher … die ganze Zeit über saßen sie da, ohne dass wir ihre Gesichter sahen … wir gaben ihnen Wasser, und das war’s. Nur mit dem Arzt haben wir gesprochen, und deshalb konnten wir ihn nicht … deswegen sagten wir zu ihm, er könne gehen. Und erst als er sich entfernte, erst dann … haben sie ihn in den Rücken geschossen. Ich schwöre, dass ich nicht weiß, wer es war. Man hatte uns gesagt, ›gleich kommt der Panzer‹. Wir dachten – auf den Hügeln ringsherum befanden sich ägyptische Soldaten … der Kommandant, der Zugführer, Davidoff, er … es war ein Befehl. Ich weiß nicht, warum wir uns nicht weigerten. Warum … ich weiß es nicht. Das Ganze war auf eine Weise überflüssig, die schwer zu beschreiben ist … Wie diese sechzig bis siebzig waren Tausende von Ägyptern in den Hügeln, und niemand befasste sich mit ihnen. Und unsere, sie saßen dort den halben Tag in der Sonne, wir gaben ihnen Wasser. Danach kam unser Räumungsbefehl – man sagte uns, wir sollten in den Norden hinauf. Wir sagten: ›Was sollen wir mit ihnen anfangen?‹ Damals per Funkgerät, nicht … über Funk, stellen Sie sich das vor, sie sagten zu uns: ›Werdet sie los …‹« Rubin verstummte wieder. Michael legte seinen Kopf auf die Arme und wartete geduldig. Rubin starrte an die Decke, und Michael fing im Augenwinkel die Silhouette Schorrs ein, der am Ende des Korridors stand und jedes Wort mithörte. Michael spürte mit schmerzlicher Schärfe die Kluft, die sich zwischen ihm – der Rubin zunehmend näherkam – und den Beobachtern jenseits der Wand auftat. Rubin irrte sich nicht, als er eine tiefe Verbundenheit spürte, die zwischen ihm und Michael während des Erzählens seiner Geschichte entstand. Er vergaß nicht, dass er ein Mörder war, den man gerade gefasst hatte, aber etwas anderes, nicht weniger Wichtiges, wollte ausgesprochen werden, gehört werden von jemandem, der diese Dinge verstand, die sonst vielleicht niemand jemals verstehen würde.
    »Dort sitzen also sechzig bis siebzig Männer im Sand, im Schneidersitz, und ich sage Ihnen« – seine Stimme bröckelte plötzlich und schlug fast in Schluchzen um –, »dass diese Aktion, sie aufzustellen – ich werde nie vergessen, wie sie ihre Beine nach dem stundenlangen Sitzen ausschüttelten –, sie in Reihen zusammenzuscharen, in Dreierreihen anzuordnen«, Rubin barg sein Gesicht in den Händen und heulte auf, »es war schrecklich – schrecklich, das zu sehen … und danach … danach haben wir den Befehl ausgeführt – wir haben sie niedergemäht. Mit gefesselten Händen und Füßen und verdeckten Gesichtern, und danach …«
    »Danach?«, fragte Michael sanft und war über seinen eigenen Ton erstaunt. Rubin holte geräuschvoll Luft und sagte schnell: »Danach kamen die Panzer. Und der Bulldozer. Und mit dem Schaufelteller wurden sie in das Loch

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