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Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel

Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel

Titel: Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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»mit dem Verdächtigen allein, so wie er gebeten hat.«
    So kam es, dass Rubin, in Handschellen, an der Wand im Korridor gegenüber der Näherei hockte und Michael sich ohne weitere Förmlichkeiten neben ihm niederließ.
    Eine lange Weile verharrten sie so in vollkommenem Schweigen, bis Michael schließlich sagte: »Die Menschen sind ihr Leben lang mit ihrer Wunde beschäftigt.«
    »Was Sie nicht sagen!«, erwiderte Rubin, doch auch seine Ironie kaschierte die Trauer nicht. »Welch eine Entdeckung! Sie verzeihen, wenn ich Ihnen sage, dass man kein Genie sein muss, um das zu begreifen.« Damit verstummte er wieder.
    »Ich meine auch die Arbeit«, sagte Michael nach einem Moment leise, »die Glückspilze finden eine Möglichkeit, sich in der Arbeit, ihr ganzes Leben lang, damit zu befassen, was sie am Anfang des Wegs verletzt hat.«
    »Wovon sprechen Sie?«, fragte Rubin mit stiller Verwunderung. »Ich verstehe Sie nicht.«
    »Denken Sie nicht, dass all die Weltverbesserung, mit der Sie sich beschäftigen, mit dem zusammenhängt, was Sie dort durchgemacht haben? Sagen Sie mir«, bat Michael, »wer hat nun wirklich den ägyptischen Arzt in den Rücken geschossen?«
    Rubin stand schlagartig auf und blickte sich um. »Woher wissen Sie von dem ägyptischen Arzt?«, fragte er heiser. »Wiederholen Sie wie ein Papagei einen Satz, den Sie gehört haben?«
    Michael gab keine Antwort darauf.
    »Hat Benni es Ihnen erzählt oder was?«
    Michael schwieg.
    »Ich habe nie mit irgendjemandem über Ras Sudar gesprochen, niemals, nicht einmal mit Srul und Benni …«, sagte Rubin mit erstickter Stimme, und sein starrer Gesichtsausdruck vermochte die endlose Trauer nicht zu verdecken, die sich darin widerspiegelte.
    Michael blickte zu der Treppe, die aufs Dach führte, und zu dem Lichtstreifen, der von dort kam.
    »Was wollen Sie jetzt?«, fragte Rubin. »Wollen Sie eine historische Geschichte? Von vor vierundzwanzig Jahren?«
    Michael schwieg.
    »Benni hat es Ihnen schon erzählt«, sagte Rubin, »was fragen Sie mich noch?«
    »Jeder hat seine eigene Version«, entgegnete Michael nach längerem Schweigen, »und jeder hat das Recht, sie hören zu lassen. Die Unterschiede sind wesentlicher als das Gemeinsame. Überall, und hier ganz sicher.«
    »Das heißt – er hat es erzählt«, sagte Rubin in einem Ton, der vor Verachtung triefte, »ich hab’s immer gewusst – er wird es erzählen, ein schwacher Mensch, nichts zu machen.«
    Michael schwieg.
    »Okay, Sie wollen meine Version?«, fragte Rubin. »Dann sollen Sie sie haben. So wie es war.« Seine Stimme klang nun anders, als sei es ihm mit einem Mal ein großes Anliegen, diese Dinge gerade Michael Ochajon zu erzählen.
    Michael richtete sich auf seinem Platz auf, und Rubin setzte sich neben ihn. Beide lehnten sich gegen die Wand und sahen vor sich hin. Danach, als Imanuel Schorr ihn fragte, weshalb Rubin zugestimmt habe zu reden, sagte Michael, dass all die jüngst begangenen Verbrechen von einer alten Wunde überschattet waren, deren Dimension das ganze Leben, das danach folgte, klein erscheinen ließ. Die Morde, die dazu bestimmt waren, die Stimmen zum Schweigen zu bringen und die Wunde zu schließen, hatten diesen Zweck nicht erfüllt, sondern sie nur noch weiter aufgerissen. Und Rubin hatte mehr als alle an ihr getragen, sie war schwerer und gewalttätiger als all die Verbrechen und die Schuld, die er jetzt auf sich geladen hatte.
    »Es ist nicht so, wie es scheint«, sagte Rubin, wobei er Michael einen Seitenblick zuwarf, und als er keinerlei Regung in dessen Gesicht entdeckte, fuhr er fort:
    »Es waren nicht nur wir beide, oder wir drei, wir waren zu acht: Srul, ich, Ben-Nun, der mittlerweile an einem Herzinfarkt gestorben ist, David Albuchar, der später von einem Heckenschützen erschossen wurde, Schlomo Zemach, der nach Brasilien gereist ist und von dem ich seitdem nie wieder etwas gehört habe, Itzik Buzaglo – er wurde bei einem Verkehrsunfall getötet, und Davidoff, von dem ich keine Ahnung habe, wo er ist …«
    Michael breitete die Arme aus, zog die Beine an und legte seine Hände auf die Knie.
    »Was wollen Sie?«, fragte Rubin mit harter Stimme, wobei die Betonung auf dem »Sie« lag.
    »Ich?«, gab Michael zurück. »Ich will von Ras Sudar im Krieg hören, aus Ihrem Mund, ohne Vermittler.«
    Und ausgerechnet sie beide, der Mörder und der Jäger, waren in diesem Augenblick vollkommene Partner in einer Sache. Mehr als alles barg diese Sache Kummer und

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