October Daye - McGuire, S: October Daye
vorüber war, öffnete ich die Augen und bedachte ihn mit einem dankbaren Blick. Er wandte sich mit unergründlicher Miene ab.
Richtig. Für einen Moment hatte ich vergessen, dass wir keine Freunde waren. Ich stieß mich von der Wand ab, öffnete die Kellertür und stieg die Treppe in die behelfsmäßige Leichenhalle hinab.
Ein kleines, aber wichtiges Detail hatte sich verändert. Hätte ich den Inhalt des Kellers nicht so genau gekannt, hätte ich es vielleicht übersehen, doch so war es, als fände man Wasser in der Wüste: Es war zu fehl am Platz, um es nicht zu bemerken.
Alex lag an Terries Stelle.
Tybalt sog scharf die Luft ein. Anscheinend hatte er mir nicht geglaubt, als ich sagte, es würde etwas geschehen. Dumm von ihm.
»Volltreffer«, meinte ich mit einem zufriedenen Lächeln.
Alex sah aus wie all die anderen – als könnte er jeden Moment die Augen öffnen und wissen wollen, warum er im Keller war. Allerdings bestand ein entscheidender Unterschied, der offensichtlich wurde, wenn man danach suchte: Die Stichwunden an seinen Handgelenken und seinem Hals waren verschwunden. Der Sonnenaufgang hatte sie während der Verwandlung geheilt.
»Was um alle s … «
»Zwei Personen, ein Mord«, fiel ich ihm ins Wort und drückte das Ohr an Alex’ Brust. Kein Herzschlag. Ich hatte nicht ernsthaft erwartet, dass der Sonnenaufgang ihn wiederbeleben würd e – das wäre zu einfach gewese n – , aber ich hatte es leise gehofft. »Alex’ Blut ist noch lebendig. Deshalb hat er sich verändert, als die Sonne aufging. Jetzt muss ich nur noch herausfinden, wie ich ihn vollends aufwecken kann.«
Tybalt knurrte. Das Geräusch hallte durch den Keller. »Warum lässt du ihn nicht einfach verrotten?«
»Ich bin schwer in Versuchung. Aber ich muss mit ihm reden. Außerdem verrotten Fae nicht.« Als der Sonnenaufgang ihn geheilt hatte, ließ er ihn mit einem völlig intakten und funktionsbereiten Körper zurück. Ich musste nur herausfinden, wie ich ihn erwecken konnte.
Es musste mit Blut beginnen. Alles begann mit Blut. Ich zog das Messer von meinem Gürtel, drehte Alex’ Arm zu mir und schnitt behutsam über sein Handgelenk. Es gab sehr wenig Blut. Wahrscheinlich hatte es sich in seinen Venen festgesetzt, als sein Herz zu schlagen aufhörte. Das war kein Problem, es würde genügen.
Ich beugte mich vor, presste die Lippen auf die Wunde und trank.
Den Gang hinunter schnell jetzt schnell wegrennen in Sicherheit rennen Toby suchen Elliot suchen irgendjemanden nicht jetzt nicht mich nein ich will nicht so sterben ich kann nicht ich will nicht also rennen wegre…
Keuchend riss ich mich von den Erinnerungen los und taumelte rückwärts gegen Tybalt. Er fing mich mühelos auf, und seine Augen weiteten sich.
»October?«
»Zu knapp«, sagte ich und versuchte, wieder zu Atem zu gelangen. »Es beginnt zu knapp vor dem Sterben. Ich kann nicht sehen, wer sie umgebracht hat.«
»Dann finde einen anderen Weg«, meinte er und stellte mich wieder auf die Füße.
Ich blinzelte ihn an. »Du denkst, das kann ich?«
Er lächelte kurz und streckte die Hand aus, um mir eine Haarsträhne hinters Ohr zu streichen. »Ich glaube es. Das passt viel besser zu dir als deine albernen Trugbanne.«
»Oh.« Ich blinzelte ihn noch eine gefühlte Ewigkeit an, bevor ich den Blick von ihm löste und nach meinem Messer griff. »Das Blut erinnert sich von selbst. Nur die Reglosigkeit sorgt dafür, dass er tot bleibt.« Ich verstummte kurz und lächelte verkniffen. »Ich fürchte, das werde ich bereuen.«
»Was hast du vor?«
»Bin nicht sicher. Und jetzt still.«
Er verstummte.
Blutmagie basiert halb auf Instinkten, halb auf Notwendigkeit. Es gibt Muster und Rituale, durch die die Dinge einfacher sein können, aber letztlich läuft es auf Instinkt und Notwendigkeit hinaus. Ich brauchte Unterricht in Blumenmagie und Wassermagie; ich musste mir beibringen lassen, wie man Trugbanne webt und physische Banne mischt. Aber Blutmagi e … Blutmagie teilte mir einfach mit, was zu tun war, und ich tat es. Es ist das Einzige, was je mühelos vonstattengeht, auch wenn es nie wirklich einfach ist.
Meine Mutter kann mit ein paar Tropfen Blut und einer tief empfundenen Bitte einen Stein zum Singen bringen. Etwas so Protziges hatte ich gar nicht vo r – nur eine kleine Auferweckung.
Ich setzte das Messer an meinem linken Handgelenk an und schnitt vorsichtig ein X, tief genug, um zu bluten, aber nicht lebensbedrohlich tief, solange ich die Wunde zügig
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