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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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ich konnte es ihnen nicht verdenken. Einer trat jetzt vor, hob den Kopf und versuchte auszusehen, als hätte er keine Angst gehabt. Ich senkte die Kerze, um ihn nicht zu blenden, aber selbst dann war es unmöglich, die Prellungen und Blutergüsse zu übersehen, die sein Gesicht und seine Schultern bedeckten. Die Hob, mit der er geflüchtet war, stützte sich humpelnd auf seinen Arm und sah aus, als wäre sie noch schlimmer geschlagen worden als er.
    Raj blieb stehen und sah mich feierlich an. »October. Du bist gekommen.«
    »Ich bin gekommen«, sagte ich. Quentin stand still hinter mir und sah sich um.
    »Tante Birdie, bist du es wirklich?« Die Stimme war leise und ängstlich, als befürchtete sie jeden Moment zum Schweigen gebracht zu werden. Ich erstarrte. Jessica war eines der selbstsichersten Kinder gewesen, die mir je begegnet waren. Zu hören, dass sie so klang …
    Blind Michael musste sterben. Es ging nicht mehr anders.
    »Ja, Schätzchen«, sagte ich. »Ich bin’s.«
    Das war alle Bestätigung, die sie brauchte. Mit Andrew im Schlepptau kam Jessica aus dem Hintergrund nach vorn gestürmt und schlang beide Arme um mich. Meine Größe – oder vielmehr ihr Fehlen – schien ohne Bedeutung, ich hatte die richtigen Worte gesagt. Sie vergrub ihr Gesicht an meiner Schulter und schluchzte: »Ich hatte solche Angst .«
    »Ich weiß, Schätzchen«, sagte ich und streichelte ihr mit meiner freien Hand übers Haar. Dann sah ich auf Andrew hinunter, der seinen Griff von Jessicas Arm an meinen Gürtel verlagert hatte. »Alles klar bei dir?«
    »Gehn wir nach Hause?«, fragte er. »Keine bösen Männer mehr?«
    Ich nickte. »Ja, wir gehen nach Hause. Wir gehen alle nach Hause.« Ich blickte auf und fragte Raj: »Wie viele von euch sind hier?«
    »Viele«, sagte er und gab sich keine Mühe, seine Erschöpfung zu verbergen. »Fünf vom Hof meines Onkels und mehr, die ich nicht kenne.«
    »Es sind über zwanzig, Tante Birdie«, flüsterte Jessica. »Alle haben echt Angst.«
    Oh, Wurzel und Zweig. Meine Abmachung mit Blind Michael betraf nur meine acht Kinder, das war alles, was er mir zugesagt hatte. Aber ich würde die anderen verdammt noch mal nicht hierlassen, um keinen Preis der Welt.
    »Alles aufstehen und mitkommen«, sagte ich. »Wir verschwinden hier.«
    Kinder sind Kinder, ob sie spitze Ohren haben oder nicht, und manchmal ist ein Anschein von Autorität alles, was sie brauchen. Sie lösten sich von den Wänden und kamen auf uns zu, viele schluchzten. Jessica hatte recht, es waren weit über zwanzig, eine bunte Mischung aus Reinblütern und Wechselbälgern. Sie waren allein und völlig zu Recht extrem verängstigt. Ich hätte sie nie zurücklassen können, selbst wenn ich es gewollt hätte.
    »Quentin, Raj, jeder von euch nimmt eine Gruppe von ungefähr zehn«, sagte ich und sah die beiden an. Sie sahen noch am wenigsten so aus, als müssten sie gleich zusammenbrechen. »Ich kümmere mich um den Rest. Spike, halt nach Wachen Ausschau, ja?« Der Rosenkobold rasselte kurz mit den Dornen, sprang von meiner Schulter und flitzte aus dem Saal.
    Das waren die einzigen Vorsichtsmaßnahmen, die ich treffen konnte. Ich schickte im Stillen ein rasches Stoßgebet an alle Götter, die gerade Zeit hatten, einen Wechselbalg zu erhören, der nicht wusste, wann man aufgibt. Dann führte ich unsere bunt gemischte Truppe in die Schatten von Blind Michaels künstlicher Nacht. Wenn wir Glück hatten, lebten wir lange genug, um den nächsten Morgen zu sehen.

Kapitel 15
    D ie kleinsten Kinder waren als Erste verausgabt. Sie stolperten und fielen hin, und die älteren hoben sie auf und trugen sie, ohne dass jemand es ihnen sagen musste. Sie alle wussten, wenn wir nicht zusammenhielten, waren wir verloren. Ich begutachtete sie voller Ingrimm, während wir über die Ebene marschierten. Die meisten waren barfuß, und etliche waren verletzt; eine größere Reise würden sie nie überstehen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich sie alle nach Hause kriegen sollte. Aber das Problem konnte noch etwas warten. Im Augenblick war meine Hauptsorge, sie möglichst schnell von der offenen Ebene weg und außer Reichweite von Blind Michaels Männern zu bringen.
    Als Vorsichtsmaßnahme ließ ich alle Hand in Hand gehen. So bildeten sie Ketten, deren vorderste Person jeweils mit meinem Gürtel verbunden war. Falls die Kerze imstande war, uns alle zu verbergen, wäre das ein Segen.
    Der Wald schien uns förmlich entgegenzukommen. Was Acacia im Reich ihres

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