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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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fügte ich in Gedanken hinzu. Ich musste Raj etwas geben, woran er sich festhalten konnte. Wenn ich ihm die Verantwortung übertrug, musste er alle anderen bei der Stange halten. Dazu musste er fest daran glauben können, dass es einen Ausweg für sie gab. »Falls wir nicht zurückkommen … «
    Raj nickte. »Ich verstehe.«
    »Tante Birdie?«
    Ich zuckte zusammen. »Ja, Kätzchen?«, sagte ich und drehte mich um.
    Jessica stand hinter mir. Mit flehender Miene griff sie nach meinem Arm. »Bitte verlass mich nicht. Bitte, geh nicht weg. Ich will auch ganz brav sein. Aber bitte, bitte geh nicht.«
    »Ach, Herzchen.« Ich nahm sie fest in die Arme und achtete darauf, die Kerze von ihr weg zu halten. »Es tut mir leid. Ich muss.«
    »Kommst du wieder?«
    Ich hielt sie auf Armeslänge von mir und sah sie ernst an. »Ich will’s versuchen, Schatz.« An Raj gewandt ergänzte ich: »Falls wir nicht kommen, haltet euch an Acacia. Sie bringt euch raus.« Wenn sie es konnte.
    »In Ordnung«, sagte Raj.
    Jessica gab einen wimmernden Laut von sich und fing leise an zu weinen. Ich drückte sie noch ein letztes Mal an mich, dann pulte ich ihre Finger von meinen Armen, drehte mich um und ging los, Quentin dicht hinter mir. Spike begleitete uns bis zum Waldrand, wo er stehen blieb. Offenbar hatte er vor, dort zu bleiben, wo er am dringendsten gebraucht wurde. Gut so. Mit Spike und Raj konnte ich fast glauben, dass die Kinder notfalls ohne uns durchkommen würden.
    »Toby?«, sagte Quentin.
    »Ja?«
    »Ich … « Er blieb stehen, suchte nach Worten. Er konnte mir ja nicht danken.
    Ich lächelte schief. »Ich weiß schon. Komm jetzt.« Ich bot ihm meine Hand. Er nahm sie, und zusammen traten wir hinaus auf die Ebene.
    Die Entfernung zwischen dem Wald und Blind Michaels Dorf hatte sich während unseres kurzen Aufenthalts nicht wieder vergrößert – eine kleine Vergünstigung, die wir dringend brauchten. Wir überquerten die Ebene schnell, bewegten uns sehr viel zuversichtlicher, weil uns der Weg schon vertraut war. Das war auch gut, denn das Risiko war gestiegen, und dies war der letzte Versuch, den wir hatten. Wir würden Katie rausholen und mit ihr entkommen, andernfalls war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir gar nicht mehr rauskamen. Meine Kerze brannte auf dem ganzen Weg völlig ruhig, und das machte mich nervös. Blind Michael musste mich doch erwarten. Entweder der Schutz der Luidaeg funktionierte besser, als ich zu träumen wagte, oder wir liefen direkt in eine Falle. Ich konnte beim besten Willen nicht einschätzen, welche Variante zutraf. Alles, was wir tun konnten, war stur weitergehen.
    Wir sahen niemanden, als wir das Dorf betraten und uns von Gebäude zu Gebäude vorpirschten. Wir suchten eines, das einen brauchbaren Stall abgab. Blind Michaels Pferde waren lebendig und sterblich. Das bedeutete, sie brauchten Futter und Wasser zum Überleben und ein gewisses Maß an Platz, um gesund zu bleiben. Es musste einen Sattelplatz geben und ein Gelände, um sie zu trainieren …
    Ich blieb stehen und schnupperte. Alles in Blind Michaels Landen roch faulig und modrig, doch dies war etwas anderes, etwas diesseits des Verfalls.
    Ich roch menschliches Blut.
    »Komm mit«, sagte ich und eilte weiter in das Dorf hinein. »Hier lang.«
    Quentin blickte verwundert drein und folgte mir, als ich tiefer und tiefer in das Gewirr baufälliger Häuser eindrang. Ich ließ mich vom entfernten Geruch des Blutes führen. Es war menschlich, da war ich mir mittlerweile sicher. Der Geruch wurde stärker, so stark, dass er schon beinahe sichtbar war. Ich warf einen Blick auf Quentin, der mit einem Ausdruck grimmiger Entschlossenheit hinter mir hertrabte, aber anscheinend keine Ahnung hatte, wo wir hingingen. Er war ein Daoine Sidhe, und der Geruch von sterblichem Blut war krass genug, dass ich fast davon würgen musste. Er hätte es eigentlich noch vor mir riechen müssen. Warum hatte er das nicht?
    Bevor ich diesen Gedankengang weiterverfolgen konnte, hörte die Fährte auf, eine Spur zu sein, und verwandelte sich in ein dickes Miasma aus Blut, Ausscheidungen und verdorbenem Getreide. Es ging von einem klapprigen Gebäude aus, dessen Wände mit einem Dutzend verschiedener verrottender Holzarten geflickt waren. Unter den zerfallenen Überresten des ursprünglichen Dachfirsts war behelfsmäßig ein zweites Dach eingezogen worden. Laternen hingen an jeder Ecke und warfen scharf getrennte Muster von Licht und Schatten über den Boden. Ich sah keine

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