October Daye: Winterfluch (German Edition)
freundliche Feuer. Mögen dich alle Winde geleiten.« Er lachte und schien nach innen zusammenzuklappen. Dann ertönte ein leiser, dumpfer Knall, und ein warmer Luftstrom, der nach Moschus und frischer Poleiminze roch, blies über mich hinweg. Wo Tybalt gestanden hatte, blieb ein brauner Kater mit Tigermusterung zurück. Hätte ich es nicht besser gewusst, ich hätte gesagt, dass er lächelte.
Aus meiner Sicht sind alle Cait Sidhe melodramatische Spinner. Bislang hatte sich Tybalt nie daran interessiert gezeigt, mich vom Gegenteil zu überzeugen.
»Sehr gute Idee«, sagte ich noch. »Du gehst deiner Wege, ich meiner.«
Der Kater blinzelte, stand auf und kam schnell herübergeschlichen, um sich an meinen Knöcheln zu reiben. Ich holte mit einem Fuß aus und zielte auf seine Mitte, aber er wich mir zuvor schon mühelos aus und sprang weg, den Schwanz hoch erhoben. Kopfschüttelnd beobachtete ich, wie er mit den Schatten am Ende der Gasse verschmolz. »Verfluchte Katze«, murmelte ich, dann steuerte ich auf die Straße zu, um den Rest des langen Heimwegs anzutreten.
Kapitel 2
D er Nebel war mit dem Sonnenaufgang verbrannt, und ich beschritt den Rest des Weges durch eine Stadt ohne jeglichen Zauber. Auf den Straßen rings um mich gab es keinerlei Märchen. Sofern je ein Aschenputtel existiert hatte, zerbrach der Glaspantoffel nun unter ihrem Gewicht, und blutend humpelte sie vom Ball nach Hause.
Meine Wohnung liegt nicht in der besten Gegend, aber sie erfüllt meine Bedürfnisse. Das Dach hat keine Löcher, die Hausverwalter veranstalten keinen Lärm, und in der Miete ist ein Platz in der dazugehörigen Parkgarage enthalten, wo mein Wagen tagein, tagaus vor sich hinvegetiert, weil es bei Safeway keine Mitarbeiterparkplätze gibt. Ich gab am Nebeneingang meinen Code ein und entriegelte das Tor, bevor ich dem schmalen Pfad zu meinem Gebäude folgte. Ich wohne in einer der Erdgeschoss-Einheiten, die eine richtige Außentür besitzen. Über mir und links habe ich Nachbarn, rechts jedoch nur einen Gehweg und Gras. Es gefiel mir, dass ich zumindest über den Anschein einer Privatsphäre verfügte.
Der allerdings nicht von Dauer sein sollte. Vor meiner Tür lungerte ein Junge im Teenageralter herum, die Hände in den Hosentaschen. Alles an ihm strahlte Unzufriedenheit aus. Der Schimmer von Magie, der ihn umgab, war den halben Pfad herab sichtbar und kennzeichnete ihn als Fae. Die Luft roch nach Stahl und Heidekraut: Der Trugbann, der ihn menschlich erscheinen ließ, war erst vor Kurzem und auf meiner Schwelle gewoben worden. Er musste noch vor dem Sonnenaufgang hier erschienen sein.
Ich zögerte. Ich konnte ihn ignorieren und hoffen, dass er mich ohne Aufhebens in meine Wohnung ließe. Ich konnte zum Starbucks unten an der Straße gehen, eine Weile an einem Kaffee nippen und hoffen, er würde verschwinden. Oder ich konnte ihn loswerden.
Niemand soll sagen, ich hätte den einfachen Ausweg gewählt oder eine Vorliebe für unerwünschte Besucher erkennen lassen. Ich verengte die Augen zu Schlitzen und stapfte den Pfad entlang auf ihn zu. »Kann ich dir helfen?«
Er zuckte zusammen und drehte sich mir zu. »Ic h … was?«
»Dir helfen. Kann ich dir helfen? Denn du stehst zwischen mir und meiner Wohnung, und ich hatte gehofft, heute etwas Schlaf abzubekommen.« Mit finsterer Miene verschränkte ich die Arme vor der Brust.
Er wand sich unter meinem Blick. Allein der Körpersprache nach zu urteilen war er tatsächlich so alt, wie er zu sein schien, also um die fünfzehn. Er besaß löwenzahnblondes Haar und ausgesprochen blaue Augen. Wahrscheinlich hätte er sich der Mädchen mit einem Knüppel erwehren müssen, wäre er nicht gekleidet gewesen, als würde er mich gleich fragen, ob ich Jesus Christus schon als meinen Retter angenommen habe. Ein Junge, der so formell gekleidet am frühen Morgen auf meiner Veranda auftauchte, musste in offiziellen Angelegenheiten unterwegs sein, was mich noch finsterer dreinschauen ließ. Ich bevorzuge es nämlich, offizielle Angelegenheiten zu meiden. Alles, was sie jemals bewirken, ist, dass Leute verletzt werden.
»Ic h … «, stammelte er. Dann schien er sich aber zu besinnen, straffte die Schultern und streckte in der selbstgefälligen Weise, die Pagen allerorts eigen zu sein scheint, die Brust vor. »Habe ich das Privileg, mit Lady Daye zu sprechen?« Er hatte einen ganz leichten Akzent. Wem immer er mittlerweile diente, begonnen hatte er sein Leben gewiss irgendwo in der Nähe von
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