October Daye: Winterfluch (German Edition)
hervor.
»Ermordet«, bestätigte ich und senkte den Blick, um die Bestürzung zu meiden, die seine Miene zweifellos widerspiegelte. Zu spät. »Man hat sie erst erschossen und ihr dann mit einer Eisenklinge die Kehle aufgeschlitzt.«
Tiefe Stille senkte sich über den Saal. Ich hob den Kopf und begegnete Sylvesters Blick. »Eisen?«, fragte er.
»Ja. Sie starb an den Wunden.« Leider an nichts Gnädigerem.
»Also besteht kein Zweifel daran, dass es sich um Mord handelt.« In seinem Tonfall schwang Gebrochenheit mit. Die Reinblütler müssen zusammenhalten, weil sie sich an niemanden sonst wenden können, deshalb trifft sie jeder Tod so schwer. Bei Wechselbälgern verhält sich das anders. Wir leben zu verstreut und sind zu verschieden. Manchmal dauert es Jahre, bis wir überhaupt herausfinden, dass jemand gestorben ist. Für uns ist der Tod eine größere Gefahr und erscheint uns daher nicht so unmöglich. Was ihn natürlich nicht besser macht.
»Es tut mir leid«, sagte ich matt.
»Ic h … ja. Ja, natürlich.« Seine Finger suchten jene Lunas und drückten sie fest. »O Evening. Gab e s … War das alles, was du zu berichten hast?«
»Bevor sie starb, hat sich mich gebeten, ihre Mörder zu finden«, antwortete ich und beobachtete ihn aufmerksam. »Ich bin hier, weil ich wollte, dass Ihr es wisst. Und weil ich um Hilfe bitten muss.«
»Ich wünschte, du wärst früher gekommen«, meldete sich Luna sehr leise zu Wort. »Du hast uns gefehlt, und keine Heimkehr sollte von solchen Neuigkeiten überschattet werden. Das ist ein böses Omen.«
Sylvesters Sorgen waren allerdings naheliegender als böse Omen. Seine Züge verhärteten sich, als er fragte: »Und du hast zugesagt?« Ich brauchte nur zu nicken. Sylvester wusste, dass mich mein Wort binden würde, ob ich wollte oder nicht. Ich sah keinen Grund, ihm von dem Fluch zu erzählen; er würde sich auch so genug Sorgen machen. »O Toby. Warum hast du das getan?«
»Weil ich keine andere Wahl hatte.« Ich verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Wenn Ihr mir nicht helfen wollt, verstehe ich das natürlich.«
»Das habe ich nicht gesag t … verdammt. Gibst du uns bitte ein paar Minuten?« Seine Stimme klang von der Mühe, die es ihn kostete, Tränen zu unterdrücken, ganz angespannt. Er wollte ebenso wenig vor mir weinen, wie ich ihn weinen sehen wollte.
»Ich war eine ganze Weile nicht hier«, gab ich zurück und griff seinen Wink auf. »Ich sehe mir mal an, was Luna aus den Gärten gemacht hat. Lasst Ihr mich rufen?«
Sylvester nickte stumm. Luna tat es ihm gleich, die Ohren nach wie vor angelegt.
Von einem sonderbaren Impuls überwältigt, stürzte ich vorwärts und umarmte beide gleichzeitig, ihn und sie mit je einem Arm, ehe ich mich umdrehte, den Rock mit beiden Händen anhob und aus dem Saal rannte. Ich hatte Glück und schaffte es schnell genug hinaus. Was immer geschehen mochte, bevor ich den Mugel wieder verließ, weinen würde ich ihn nicht sehen müssen.
Kapitel 12
U •• ber Anstand und Schicklichkeit zerbrach ich mir nicht den Kopf als ich aus dem Audienzsaal gerannt kam. Ich ließ einfach meine Röcke sinken, lehnte die Stirn an den kühlen Stein der nächstbesten Säule und sog tiefe Atemzüge ein, während ich darum kämpfte, nicht zusammenzubrechen und zu heulen. Sechs Monate lang hatte ich die Torquill gemieden, weil ich Sylvester nicht unter die Augen treten wollte. Und alles, was ich dadurch getan hatte, war, ihn noch tiefer in seinen Schuldgefühlen versinken zu lassen. Hatte ich denn irgendjemandem einen Gefallen mit meinem Verhalten getan?
Als ich aufschaute, war der Page verschwunden. Gut. Es war eine lange Woche gewese n – die noch immer länger wurd e – , und ich war nicht sicher, ob ich höflich bleiben könnte, erst recht nicht nach dem, was sich soeben mit den Torquills zugetragen hatte. Meine Manieren verabschieden sich stets als Erstes, wenn ich aufgewühlt bin, und manch einer meint, sie hätten vor geraumer Zeit aufgehört, sich später wieder einzustellen.
Ich wischte mir einige widerspenstige Strähnen aus dem Gesicht, drehte mich um, wollte den Flur runtergehen und stolperte dabei um ein Haar über den Saum meines Kleides. Mit lodernden Wangen hob ich den Rock wieder an und setzte mich erneut in Bewegung. Ich hasse die Aufmachung bei Hofe.
Zumindest besserte die Verärgerung meine Laune, wodurch es schwieriger wurde, darüber nachzugrübeln, wie falsch ich Sylvesters Reaktion auf meine Rückkehr
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