October Daye: Winterfluch (German Edition)
verstrickt sind. Das einzig Konstante an uns ist, dass wir die Dinge zwingen, sich zu ändern.
Etwas raschelte im Gestrüpp. Ich hob den Kopf, doch die einzige Bewegung, die ich wahrnahm, stammte von den Kristallschmetterlingen, die pflichtbewusst von Blume zu Blume huschten: Glasinsekten, die Glasrosen befruchteten. »Hallo?«, rief ich und kämpfte gegen meinen natürlichen Verfolgungswahn an. In Schattenhügel würde mich nichts angreifen. Und falls doch, könnte ich mit der örtlichen Flora um mich schlagen, bis man von mir abließ.
»Hallo!« Die fröhliche Erwiderung ertönte aus einem dichten Beet von Blutender Liebe. »Bist du das, Toby?«
»Eigentlich schon«, antwortete ich zurückhaltend. »Wer ist denn dort?«
Die Blumen raschelten, und Connor O’Dell rollte grinsend daraus hervor. Irgendwo zwischen dem Thronsaal und dem Garten hatte er seine kleine Krone verloren. Stattdessen prangten Rosenblätter in seinem Haar. »Ich«, sagte er und stand auf. Wenigstens er schien einen halbwegs angenehmen Tag zu haben. Vielleicht lag es auch daran, dass er sich von Raysel davongestohlen hatte; ich schätze, das hätte jeden aufgemuntert. »Ich hätte nicht gedacht, dass du Rosen magst.«
»Die meisten Rosen mag ich auch nicht.«
»Aber diese schon?«
»Ja, diese mag ich.« Er kam zu mir herüber und setzte sich mit einer schwungvollen Bewegung neben mich. Ich verkniff mir ein Lächeln. »Du hast da etwas im Haar.«
»Tatsächlich?« Er schüttelte den Kopf wie ein Hund, der nach einem Bad versucht, sich vom Wasser zu befreien. Gelbe Glasrosenblüten prasselten auf die Bank und klirrten wie Kristalle, als sie auf dem Marmor aufprallten. »Oh. In der Tat. Das sollte mich lehren, mich nicht unter Rosenbüschen zu verstecken.«
»Nein, diese Lektion wirst du dann lernen, wenn du dich das erste Mal auf eines dieser Dinger rollst und dich dort schneidest, wo es richtig schmerzt«, gab ich zurück und schnippte ein Blütenblatt weg.
Connor zuckte zusammen. »Sprichst du aus Erfahrung?«
»Oh ja. Diese kleinen Teufel durchdringen mühelos jeden Jeansstoff.«
»Na ja, was hast du erwartet, wie Glasrosen sind? Weich?« Er grinste und versuchte offensichtlich, einnehmend zu sein. Es funktioniert nur halb; ich kannte ihn zu gut, um darauf hereinzufallen.
»Eigentlich nicht. Zerbrechlich vielleicht, oder scharf.« Ich hob ein Blütenblatt auf und betastete mit dem Daumen den Rand. Er schnitt mich tief und sauber. Ich hasse den Anblick meines Blutes, aber mit Blut hatte dieser ganze Schlamassel begonnen, und wahrscheinlich würde er auch mit Blut enden. »Sie können sich verteidigen. Das respektiere ich.«
»Das können gewöhnliche Rosen auch. Sie haben Dornen.«
»Na und? Diese Rosen bestehen nur aus Dornen. Sie können gar nicht anders, als sich selbst zu schützen.« Ich ließ das Blütenblatt fallen und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Versteckst du dich oft in Rosenbüschen?«
»Nur, wenn ich meine Ruhe haben will. Das ist ein guter Garten zum Verstecken.«
Ich sah mich um. »Ich habe nie verstanden, warum die Leute hier nicht öfter herkommen.«
Connor deutete auf meinen blutigen Finger und sagte: »Für die meisten sind die Rosen zu scharf. Sie wollen Blumen für ihre Liebe pflücken und schlechte Gedichte mit Vergleichen zwischen den beiden schreibe n … zum Beispiel: ›Meine Liebe ist wie eine rote, rote Rose.‹ All dieses Zeug eben.« Er lehnte sich auf die Hände zurück. »Wer will seine Geliebte schon mit einer Blume vergleichen, die so scharf ist, dass sie alles schneidet, was sie berührt?«
»Eine Blume, die unabhängig von Wetter und Jahreszeit blüht und sich verteidigen kann, wenn es sein muss? Ich sehe da überhaupt kein Problem.« Ich zuckte mit den Schultern. »Wollte mich jemand als Glasrose bezeichnen, ich würde mich nicht darüber beschweren.«
»Nein, das würdest du wohl nicht«, pflichtete er mir bei. Das durch die Rosen scheinende Licht warf Schatten in sein Gesicht, die sein Kinn und seine Wangen in Schichten von Blau, Grün und hellem Violett tauchten. Seine Miene war ernst; aus seinen Augen sprach etwas, das ich kannte, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte. Einen Moment lang ertappte ich mich dabei, Rayseline Torquill dafür zu verfluchen, dass sie als Erste zurückgekehrt war. Nun, da ich wieder unter den Lebenden weilte, hätte ich einen Mann gebrauchen könnten, der mich genau auf diese Weise ansa h … doch sie war als Erste wieder hier gewesen, was
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