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October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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herzöglichen Farben bestand aus einem Paar blauer Jeans und einem gelben Wappenrock.
    Ich muss wohl auf dem Großteil meines Marsches durch den Audienzsaal wie ein gewöhnliches Mitglied des Hofes gewirkt haben, eine braunhaarige Frau in einem braunen Samtkleid, an der nichts bemerkenswert zu sein schien. Luna erkannte als Erste, wer ich war. Sie richtete sich kerzengerade auf ihrem Sitz auf und legte die Ohren flach an den Kopf an. Ihre Schwänze rollten sich aus und begannen zu zucken. Ihre plötzliche Aufmerksamkeit steckte Sylvester an, der sich mir stirnrunzelnd zuwandte. Ich sah die Verwirrung in seinem Gesicht, die umso deutlicher wurde, je näher ich kam.
    Dann verblasste die Verwirrung und wurde von etwas ersetzt, das ich nicht erwartet hatte. Ich hatte geglaubt, auf fast alles vorbereitet zu sein. Auf das, was folgte, allerdings nicht.
    »Toby!« , rief er. Schiere Freude trat in seine Züge, als er sich erhob und in seiner Hast, vom Podium zu steigen, beinah seinen Stuhl umstieß. Verwundert erstarrte ich. Sylvester durchquerte den Abstand zwischen uns beinah im Laufschritt, packte mich um die Mitte und schwang mich in die Luft empor, bevor ich Zeit hatte, mich daran zu erinnern, wie man sich bewegte. Mittlerweile lachte er, und hinter seiner Freude trat ein anderes Gefühl hervor: Erleichterung. Reine, unverfälschte Erleichterung.
    Ich hatte mich vor Schattenhügel gedrückt, weil ich ihm nicht gegenübertreten wollte. Ich wollte den Ausdruck in seinen Augen nicht sehen, wenn ich zurückgekrochen käme und zugeben musste, dass ich versagt hatte. Aber alles, was ich sah, als ich ihn nun betrachtete, war die Freude eines Freundes, der endlich die Heimkehr von jemandem erlebt, den er verloren geglaubt hatte.
    Worte zu finden schien unmöglich zu sein. Luna ersparte es mir, indem sie an uns herantrat, eine Hand auf Sylvesters Arm legte und sagte: »Liebling, vielleicht solltest du sie herunterlassen, bevor ihr schlecht wird. Ich möchte den Wichteln nicht erklären müssen, warum sie vor dem Hofempfang heute Abend den Boden wischen müssen.«
    Nach wie vor lachend stellte mich Sylvester auf die Beine und erwiderte: »Ja, ja, sicher.« Dann zog er mich in eine Umarmung. Er roch wie immer nach Osterglocken und Hartriegelblüten. Sein fester, beruhigender Duft genügte, um es schwierig zu gestalten, nicht zu weinen. Ich schniefte und befreite mich von ihm, um mir die Augen abzuwischen. Sylvester zögerte kurz, dann ließ er mich los.
    Ich stolperte einige Schritte zurück und flüchtete mich in Förmlichkeiten, indem ich mich verneigte und am tiefsten Punkt der Bewegung innehielt. Eines kann ich über Adlige sagen: Sie besitzen wahrscheinlich die vereinte Oberschenkelkraft aller Synchronschwimmerteams der Welt. In einer förmlichen Verneigung innezuhalten schmerzt ganz schön, und es regt mich stets dazu an, ordentliche Dehnungsübungen zu absolvieren, bevor ich es erneut versuche.
    »Toby?«, sagte Sylvester fragend.
    »Ich glaube, sie wird damit erst aufhören, wenn du ihre Gegenwart anerkennst, Liebling«, meldete sich Luna zu Wort.
    »Ich hab sie hochgehoben. Ist das keine Anerkennung ihrer Gegenwart?«
    »Ich meinte etwas förmlicher.«
    »Oh.« Sylvester räusperte sich. »Ja, October, ich sehe dich. Kannst du bitte damit aufhören? Wo bist du gewesen? Na ja, ich weiß ja, wo du gewesen bist, das war eine dumme Frage, vergiss sie, aber weißt du, wir waren krank vor Sorge um dich. Wir haben erst erfahren, dass du zurück bist, als Evening aus Höflichkeit angerufen hat.« Mittlerweile klang er ein wenig verletzt. »Ich habe Botschaften geschickt. Hast du sie bekommen?«
    »Ja, Euer Gnaden, das habe ich«, erwiderte ich und richtete mich auf. »Ich wa r … ich war noch nicht bereit, darauf zu antworten.«
    »Aber warum?«, fragte Sylvester und sah mich an wie ein Kind, dem man gerade mitgeteilt hatte, dass Weihnachten ausfiel.
    »Ich glaube, ich kenne die Antwort darauf«, sagte Luna, legte eine Hand auf seinen Arm und bedachte mich mit einem herzlichen, wenn auch etwas kummervollen Lächeln. »Hallo, Toby. Du siehst gut aus.«
    »Gleichfalls, Euer Gnaden«, erwiderte ich und lächelte zurück. Ich konnte nicht anders. Es ist schwierig, Luna anzusehen, ohne zu lächeln.
    Klein, zierlich, gedrungen: Mit diesen Worten hätte man die Herzogin von Schattenhügel beschreiben können, wenn sie sich dadurch nicht so zerbrechlich angehört hätte. Luna mochte eine kleine Frau sein, doch sie war alles andere als

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