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Odd Thomas 4: Meer der Finsternis

Titel: Odd Thomas 4: Meer der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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weiterhin da hing und darüber nachgrübelte, ob ich angesichts der neuen Lage weiter nach oben klettern oder ins Wasser zurückkehren sollte, hörte ich in der Entfernung etwas, das ich im ersten Augenblick für eine Kettensäge hielt.
    Nach zehn oder fünfzehn Sekunden wurde das Geräusch tiefer, und ich erkannte das charakteristische Tuckern eines Außenbordmotors.
    Ich legte den Kopf schief, um herauszufinden, woher das Geräusch kam. Es dröhnte nicht nur verwirrend durch die Pfosten und Querbalken, sondern hallte auch von der Wasseroberfläche wider, aber nach einer halben Minute war ich mir sicher, dass sich das Fahrzeug vom äußeren Ende des Piers aus auf den Strand zubewegte.
    Als ich in die betreffende Richtung spähte, konnte ich wegen der Pfostenreihe nichts sehen. Entweder fuhr das Boot parallel am Pier entlang, oder es schlängelte sich zwischen den Pfeilern hindurch, um gründlicher nach mir suchen zu können.
    Die Flutlichter befanden sich zwar unter mir und waren abwärts gerichtet, aber das schaukelnde Wasser warf das Licht zurück. Schimmernde Phantome schnellten an den Pfeilern hoch, strichen über die waagrechten Balken und flatterten bis an die Unterseite der Bodenplanken.
    Durch diese zitternden Spiegelungen war ich sichtbar. Ein leichtes Ziel.

    Wenn ich jetzt hinunterkletterte, wäre das mein sicherer Tod.
    Angesichts all dessen, was in den vorangegangenen Jahren passiert war, fühlte ich mich bereit für den Tod, wenn meine Zeit kam, und ich fürchtete ihn nicht. Aber wenn ich zu tollkühn handelte, konnte man das als selbstmörderisch bezeichnen. Bei einem Selbstmord droht der Seele bekanntlich die Verdammnis, und dann würde ich meine Freundin Stormy dort drüben womöglich niemals wiedersehen. Die Aussicht auf baldigen Frieden war es nicht wert, das zu riskieren.
    Außerdem hatte ich den Verdacht, dass Annamaria in der Patsche saß und dass ich teilweise deshalb nach Magic Beach gelenkt worden war, um ihr zu helfen.
    Rascher als vorher kletterte ich weiter und hoffte, eine Kreuzung aus Balken oder eine andere Struktur zu finden, wo ich nicht nur vom Widerschein des Flutlichts geschützt war, sondern auch vor forschenden Taschenlampen, falls die Männer im Boot welche hatten.
    Obwohl ich keine Höhenangst habe, wäre ich lieber an tausend anderen Orten gewesen als ausgerechnet auf diesem Pfosten, wo ich mir vorkam wie eine auf den Baum gejagte Katze. Einerseits musste ich dankbar sein, dass unter mir nicht wie damals im Wohnwagen des Serienkillers zwei fiese Kampfhunde lauerten; andererseits besaß ich zur Verteidigung nicht einmal einen rosa Staubwedel und einen Sixpack warmes Cola.

3
    Flink wie ein Affe, doch in meiner Verzweiflung bei weitem nicht so behände, kletterte ich am Pfosten hinauf. Meine Füße traten dorthin, wo sich kurz vorher meine Hände festgeklammert hatten.
    Wieder brach eine lose Schraube aus dem morschen Holz und fiel klirrend auf den Beton unter mir. Das Tuckern des nahenden Außenbordmotors übertönte dieses Geräusch ebenso wie das gleich darauf folgende Wasserklatschen.
    Ein kleines Stück weiter kam ein massiver Querbalken. Die plumpen Bewegungen, mit denen ich darauf kletterte, hätten jeden Beobachter endgültig davon überzeugt, dass ich bestimmt keiner Spezies angehörte, die auf Bäumen lebte und büschelweise Bananen fraß.
    Der Balken war zwar breit, aber nicht so breit wie ich. Noch immer huschten die hellen Reflexionen der Fluchtlichter über meinen Körper und machten mich zu einem leichten Ziel für jeden geübten Schützen, der mich von unten her aufs Korn nahm.
    Auf allen vieren zu krabbeln ist wunderbar, wenn alle viere aus Füßen bestehen. Auf Händen und Knien hingegen kommt man nicht gerade schnell vorwärts. In der Hoffnung, dass die Reaktion meines Magens meine mangelnde Höhenangst bestätigte, stand ich vorsichtig auf. Sofort wurde mir flau im Magen.

    Als ich in die Tiefe blickte, wurde mir auch noch ein wenig schwindlig, weshalb ich rasch den Kopf hob und in die Richtung schaute, aus der das Motorengeräusch kam. Zu sehen war nichts, denn das Boot war hinter den Pfeilern verborgen.
    Es dauert nicht lange, bis mir klarwurde, warum Seiltänzer eine Balancierstange verwenden. So, wie ich dastand, mit eng an die Seite gedrückten Armen und krampfhaft geballten Fäusten, schwankte ich wie ein Säufer, der ein Zwölfschritteprogramm schon nach vier Schritten aufgegeben hat.
    Vorsichtig breitete ich die Arme aus und öffnete die Hände.

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