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Odd Thomas 4: Meer der Finsternis

Titel: Odd Thomas 4: Meer der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Luft hätte erscheinen können, marschierte er auf dem Balken auf mich zu wie der Geist von Hamlets Vater, der seinem unglückseligen Sohn auf den Zinnen des Schlosses begegnet.
    Na gut, das passte nicht ganz. Boo hatte ein weiches Fell und stellte ein freundliches Lächeln zur Schau. Von Hamlets Vater konnte man beides nicht behaupten, auch wenn zu erwarten war, dass man ihn in einer Filmfassung des Dramas, produziert in Hollywood, irgendwann damit ausstaffieren würde.

    Abgesehen davon hoffte ich, dass der Vergleich mit Hamlet auch in anderer Hinsicht unangemessen war. Schließlich war die Bühne am Ende dieses Schauspiels mit Leichen übersät.
    Als Boo merkte, dass ich ihn gesehen hatte, legte er den Kopf schief und wedelte mit dem Schwanz. Im nächsten Augenblick kehrte er mir sein Hinterteil zu, ohne sich umgedreht zu haben, und trottete in die Gegenrichtung. Nach wenigen Schritten hielt er inne, sah sich nach mir um und ging dann weiter.
    Selbst wenn ich kein Fan von Lassie gewesen wäre, hatte ich genügend Umgang mit Geistern gehabt, um zu wissen, dass von mir erwartet wurde, meinem Hund zu folgen. Ich war ein wenig stolz darauf, dass ich - im Gegensatz zu Lassies Herrchen Timmy - nicht mit lautem Bellen zum Gehorsam gezwungen werden musste.
    Der Weg, den Boo eingeschlagen hatte, führte weder in die Richtung, aus der ich den Muskelberg mit den gelbblonden Haaren erwartete, noch in die, aus der die zwei Brüder kommen mussten, sondern auf die Seite des Piers zu. Ich setzte mich eilig, aber vorsichtig in Bewegung.
    Am Ende des Balkens kam ich zu einer breiten, mit einem Geländer gesicherten Plattform, von der zwei Treppen nach oben abgingen, eine nach links und eine nach rechts. Offenbar diente sie für irgendwelche Wartungsarbeiten.
    Als Boo die nach links führende Treppe erklomm, folgte ich ihm. Schon nach wenigen Stufen gelangte ich auf einen gut einen Meter breiten Steg, der am Pier entlanglief.
    Die Oberseite des Piers befand sich nun nur noch ein kleines Stück oberhalb meines Kopfes. Da es hier windgeschützt war, nahm der Gestank des Holzschutzmittels deutlich zu.
    Auch die Dunkelheit war hier tiefer als anderswo. Trotzdem
waren im Widerschein des Flutlichts, der in ständig neuen Formen über die Bohlen lief, elektrische Leitungen und Schaltkästen zu erkennen. Daneben verlief ein Kupferrohr.
    Der Zweck dieser Vorrichtungen war klar: Die Leitungen versorgten die Laternen auf dem Pier und die Flutlichter darunter mit Strom, und das Rohr bediente die Wasserhähne, an denen die Angler, die an anderen Abenden hierherkamen, ihr Gerät abspülen konnten.
    Offensichtlich wurde der Steg, auf den Boo mich geführt hatte, von Handwerkern benutzt, um die Leitungen zu kontrollieren.
    Nachdem wir ein Stück weit aufs Ufer zugegangen waren, kamen wir zu einer kleinen Plattform. Sie beherbergte eine große Holzkiste mit zwei Vorhängeschlössern.
    In dem schwachen Licht konnte ich nicht sehen, ob die Kiste mit irgendeinem Schriftzug versehen war. Vielleicht enthielt sie Geräte zur Instandhaltung des Piers.
    Möglich war allerdings auch, dass die Kiste die verschrumpelten Überreste von Lorraine enthielt, der armen Frau des Piermeisters, die von diesem vor zwanzig Jahren ermordet worden war, weil sie einmal zu oft über den Holzschutzmittelgestank seiner Arbeitskluft gemeckert hatte.
    Womöglich hätte meine lebhafte Fantasie tatsächlich ein haarsträubendes Bild von Lorraines verschrumpelter, in Holzschutzmittel getränkter Leiche heraufbeschworen, wenn ich mir hätte vorstellen können, dass es den Beruf eines Piermeisters tatsächlich gab. Wie ich auf den Namen Lorraine gekommen war, wusste ich nicht.
    Manchmal bin ich mir selbst ein Geheimnis.
    Boo legte sich auf den Steg und drehte sich auf die Seite. Er streckte mir eine Pfote entgegen und wedelte damit in der Luft, ein universelles Zeichen in der Hundesprache, das bedeutete:
Hock dich hin, leiste mir eine Weile Gesellschaft und kraule mir den Bauch.
    Da gerade drei gefährliche Männer nach mir suchten, schien ein gemütliches Bauchkraulen so wenig ratsam wie die Idee, auf der Flucht über ein unter Artilleriebeschuss liegendes Schlachtfeld ein Päuschen zu machen, den Lotossitz einzunehmen und ein wenig zu meditieren, um die Nerven zu beruhigen.
    Dann wurde mir klar, dass jeden Augenblick der brutale Kerl im Hawaiihemd auftauchen konnte. Der Holzkasten neben mir stellte einen Sichtschutz dar, den das Geländer nicht bieten konnte.
    »Braver Hund«,

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