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Oder sie stirbt

Oder sie stirbt

Titel: Oder sie stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregg Hurwitz
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viele andere Aspekte meines Lebens.
    Bevor ich vom Vorzimmer auf den Korridor trat, vergewisserte ich mich, dass er leer war. Ich kam mir vor, als wäre ich auf der Flucht, während ich durch die Flure lief. Im Aufenthaltsraum lümmelte Marcello gerade auf der abgewetzten Couch und tat so, als würde er Arbeiten korrigieren. Julianne fummelte gereizt an der Kaffeemaschine herum. Ganz wie in alten Zeiten.
    Von der Schwelle aus sagte ich: »Ihr werdet mir fehlen, Leute.«
    Die beiden blickten auf, und ihre Mienen änderten sich jäh.
    »Im Ernst? Du gehst?«
Julianne lief zu mir und nahm mich fest in den Arm.
    »Ja. Ich hab gerade die letzten Seminararbeiten abgegeben.«
    »Verdammt, Patrick, das ist ja furchtbar.« Ihr Atem roch nach Zimtkaugummi.
    Marcello streckte mir die Hand hin, aber ich meinte nur: »Ach komm!«, und umarmte ihn auch.
    Julianne wuselte verstört um mich herum. »Wie geht es Ariana? Kann ich was für dich tun? Es muss doch irgendwas geben, was ich für dich tun kann.«
    »Meinst du das ernst?«
    »Nein, ich wollte bloß höflich sein.«
    »Ich brauche ein paar Adressen. Von einer Berufsschauspielerin und von einem der Produzenten dieser Doku, die Keith drehen wollte.«
    »Leute aus der Branche? Das sollte nicht allzu schwer sein«, meinte sie.
    »Die Polizei hatte kein Glück mit der Schauspielerin, und bei dem Produzenten bin ich gescheitert.«
    »Von euch hat ja auch keiner den Abschluss in Enthüllungsjournalismus an der Columbia gemacht«, entgegnete sie.
    »Du doch auch nicht«, wandte Marcello ein.
    Sie zuckte mit den Achseln. »Ist doch egal, wo.«
    Ich setzte mich hin und notierte:
Elisabeta, alias Deborah B. Vance,
und
Trista Koan – Ins kalte Wasser.
    Julianne nahm den Zettel. »Okay. Wenn ich die nicht selbst finde, habe ich immer noch ein paar gute Kontakte bei der Zeitung.«
    »Ich sollte lieber gehen«, sagte ich. »Ich hab … ihr wisst ja, ich hab jetzt eine Menge zu tun. Danke. Für alles. Für den Job, und dass ihr mich wieder aufgebaut habt. Es war echt schön hier.«
    Draußen hörte man Türen auf- und zugehen, die Stimmen von Studenten kamen näher.
    »Ich sollte jetzt wirklich gehen«, wiederholte ich. Blieb aber sitzen.
    »Was ist denn?«, erkundigte sich Marcello irgendwann.
    Er folgte meinem Blick zur Tür. »Hast du Angst?«
    »Bisschen.«
    »Willst du da rausgehen wie ein Mann?«
    »Ja.«
    Er räusperte sich. » EIN NEUANFANG  …«
    Ich stand auf.
    » EIN MANN . ALLEIN .«
    Ich ging zur Tür.
    » GLEICH WIRD ER ERFAHREN , DASS ES NIE MEHR SO SEIN WIRD WIE FRÜHER .«
    Auf dem Flur herrschte geschäftiges Treiben. Als ich aus der Tür trat, erstarrten die Studenten, die gerade vorbeigehen wollten. Die Reaktion pflanzte sich nach außen hin fort, immer mehr Gesichter drehten sich zu mir, Hände und Münder hielten inne, bis es so totenstill war, dass ich das Quietschen meiner Gummisohlen auf den Fliesen hören konnte. In irgendeiner Tasche piepste ein BlackBerry, jemand hustete. Bei meinem nächsten Schritt wichen die Studenten vor mir zurück und gafften mich weiter an.
    Meine Stimme klang barsch und unnatürlich tief. »’tschuldigung … ’tschuldigung.«
    Die Studenten in den hintersten Reihen stellten sich auf die Zehenspitzen. Eine Dozentin lehnte sich aus der Tür ihres Unterrichtsraumes. Ein paar Studenten schossen mit ihren Handys Fotos von mir.
    So bahnte ich mir einen Weg zum Aufzug. Als sich die Fahrstuhltüren vor mir öffneten, stiegen zwei Mädchen aus, deren Unterhaltung man in der angespannten Stille übermäßig laut hören konnte. Als die beiden merkten, was los war, hielten sie sich kichernd die Hand vor den Mund. Stoisch ging ich an ihnen vorbei, wie der Todeskandidat auf seinem letzten Weg.
    Der Lift war schon wieder weg, so dass ich jetzt etwas dämlich vor den blanken Metalltüren stand. Ich drückte mehrfach auf den Knopf. Am anderen Ende des Flurs stand Diondre auf einem Stuhl, den er sich aus einem Zimmer geholt hatte. Als ich die Hand zu einem stummen Abschied hob, lächelte er traurig und schlug sich mit der Faust auf die Brust.
    Dann kam Gott sei Dank endlich der Fahrstuhl.

[home]
    40
    D as Absperrband der Polizei, das vor der Tür flatterte, war schon von einer Staubschicht überzogen. Der Knauf hing leicht schief, nachdem man die Tür aufgebrochen hatte, und als ich ihn anfasste, löste er sich ganz ab. Ich stieß die Tür auf, duckte mich unter dem Tape hindurch und betrat das einsame kleine Fertighaus, das ich im Geiste immer

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