Oder sie stirbt
Boden. Und noch einmal. Und noch einmal. Das Echo rollte von den Hügeln zurück, über die Bäume und die versteckten Missile-Silos. Doch der Rückschlag des nächsten Schusses riss ihm die Waffe aus der Hand. Hilflos sah er mich an, und seine Tränen vermischten sich mit Schweiß.
Das nächste Schmatzen aus seiner Lunge klang schon schwächer. Seine Beine zuckten, und schließlich flatterte auch der Stoff rund um das Einschussloch in seinem Hemd nicht mehr. Seine Augen fixierten mich immer noch, und sie sahen dabei so lebendig aus wie noch wenige Sekunden zuvor.
Ich war halb vor ihm in die Knie gegangen, wie in Ehrfurcht vor der Tat, die ich gerade begangen hatte. Durch meinen Kopf dröhnten die Gedanken und machten es mir unmöglich, irgendetwas zu fühlen.
An der Wand links von Valentine prangten Chruschtschows Worte zu diesem blutigen Nachspiel. WIR WERDEN EUCH BEGRABEN .
Da ertönte ein lautes Summen, das mich aus meiner Trance riss. Ich fuhr zurück und stolperte über meine eigenen Füße. Vorsichtig stand ich wieder auf. Da war es wieder, ein ganz leichtes Vibrieren.
Zitternd näherte ich mich dem leblosen Körper. Meine Nerven fühlten sich an, als hätte man sie mit grobem Sandpapier bearbeitet. Ich hatte den Kopf immer noch ängstlich zurückgezogen, als ich in seine Tasche griff und einen Palm Treo hervorzog.
Die SMS lautete:
BEZAHLUNG AM ÜBLICHEN ÜBERGABEORT.
WIR LEGEN JETZT LOS.
DIESE NACHRICHT LÖSCHT SICH SELBST IN 17 SEKUNDEN.
16.
15 …
Loslegen? Womit?
Es lief mir kalt über die zerschlagenen Schultern. Die Nachricht war eine Antwort. Mit fliegenden Fingern klickte ich mich zurück zur Originalnachricht, die Valentine geschickt hatte.
ER GEHT UM 20.00 UHR AUS DEM HAUS.
MEHRERE EINHEITEN WERDEN AUF EINEN FINGIERTEN NOTRUF REAGIEREN, ZWEI HÄUSER WEITER, DAMIT DIE PAPARAZZI ABGELENKT WERDEN.
DANN IST SIE ALLEIN.
[home]
52
E ntsetzt starrte ich auf das leuchtende Display. Die Wörter zerfielen in Buchstaben, während mein Hirn gleichzeitig versuchte, zu begreifen und mich dagegen abzuschirmen. Dann verschwand die Nachricht tatsächlich, begleitet von einem Knautschgeräusch. Doch die Buchstaben schienen noch eine Weile zu bleiben und in der Dunkelheit zu schweben, und sie wurden wieder zu Wörtern, deren Bedeutung meine Lähmung durchbrach.
Ich war schon drei Meter den Pfad entlanggerannt, als ich merkte, dass ich im Laufen die Nummer meiner Frau auf dem Telefon eines Toten wählte. Valentines Glock steckte hinten in meinem Hosenbund, die Dokumente in meiner Tasche, wo sie mir gegen den Oberschenkel drückten. Der einzige Balken auf dem Display, der den Empfang anzeigte, verschwand jedes Mal, wenn ich die grüne Taste drückte. Als ich unten an der Straße war, zeigte das Display eine glücklos rotierende Satellitenschüssel – nichts.
Ohne mein Tempo zu verlangsamen, zog ich das Einweghandy aus der Tasche – auch hier nichts.
Die Uhr zeigte 19.56 Uhr. Noch vier Minuten, bis sie das Haus stürmten.
Der Boden war voller Furchen und aufgeworfener kleiner Hügel, und ich stolperte in der Dunkelheit, stürzte und schürfte mir die Hände auf, wobei ich mein Handy und den Palm natürlich verlor. Ich tastete den Boden ab und fand das Telefon wieder, doch nachdem ich ein paar Sekunden nach dem Palm gesucht hatte, gab ich es auf – die verräterische Nachricht hatte sich sowieso schon von selbst wieder gelöscht, und der Empfang war genauso schlecht. Mit dem Handy in der Hand sprintete ich weiter und hielt mir das Display vor die Augen, während ich weiter durch die Schwärze stolperte und es ganz meinen Beinen überließ, mit dem unebenen Gelände zurechtzukommen.
DANN IST SIE ALLEIN .
Kein Empfang. Kein Empfang. Kein Empfang.
Es hatte leicht zu nieseln begonnen, so dass der Boden weicher wurde und meinen Füßen noch mehr Widerstand entgegensetzte. Ich kam mir vor wie in einem Laufrad mit Schlaglöchern. Neben mir sah ich immer die gleiche Hügelkette vorüberziehen, während ich schweißgebadet vor mich hinkeuchte und mir vorkam, als würde ich in der Endlosschleife eines Horrorfilms feststecken.
Schließlich tauchte das gelbe Tor aus dem Dunkel auf. Ich flog hindurch, rammte dabei allerdings den einen Pfosten mit der Schulter, so dass ich im Abprallen einen Halbkreis beschrieb und auf der Motorhaube des BMW landete. Ich sprang ins Auto und raste heimwärts, einem Bereich entgegen, in dem ich wieder Empfang hatte. Mit meiner nassen Hand umklammerte ich krampfhaft das
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