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Oder sie stirbt

Oder sie stirbt

Titel: Oder sie stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregg Hurwitz
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jedem anderen Unternehmen. Deprimierend steril. Die vorderste Abschottung ließ kein Geräusch in die Lobby dringen. An all diesen streng geheimen Projekten arbeitete man vor aller Leute Augen, aber immerhin schalldicht.
    Ich hatte nicht das Gefühl, dass der Wachmann mich erkannte, aber die Blutergüsse in meinem Gesicht sagten ihm, dass ich nicht hierhergehörte, zwischen die Aeron-Stühle und den weichen Teppich. Meine Handflächen waren feucht, meine Schultern angespannt.
    In vier Stunden würden die Ridgeline-Männer meine Frau töten.
    »Mein Name ist Patrick Davis«, erklärte ich. »Ich würde gerne mit der Leitung der Rechtsabteilung sprechen.«
    Der Mann drückte einen Knopf, und seine Stimme ertönte durch einen Lautsprecher. »Haben Sie einen Termin?«
    »Nein. Sagen Sie einfach meinen Namen, und ich bin sicher, er oder sie wird mich empfangen.«
    Der Wachmann erwiderte nichts, doch seine Miene verriet, dass er das für ziemlich unwahrscheinlich hielt. Ich betete nur, dass die Polizei nicht anrückte, bevor ich Gelegenheit zu einem Gespräch gehabt hatte.
    Natürlich hatte ich immer noch nicht geschlafen. In den frühen Morgenstunden hatte ich Jerrys Analysegerät am vereinbarten Ort der Übergabe abgeholt, und ein paar von Kazakovs namenlosen Mitarbeitern koppelten es gerade irgendwie an ein GPS , damit ich herausfinden konnte, wo sich Ariana – oder zumindest ihr Regenmantel – im Moment befand. Danach war ich wieder auf mich allein gestellt. Ich musste das Ridgeline-Team finden, bevor sie sich mittags zu unserem Treffpunkt begaben. Im Moment brauchte ich nur noch irgendetwas, um einen tiefen Keil zwischen Festman Gruber und Ridgeline zu treiben. In dieser Gleichung hatte ich es mit mehr Variablen zu tun, als ich mit meinem übernächtigten Hirn überblicken konnte, und wenn irgendetwas schieflief, konnte ich mich entweder einem Prozess stellen oder das Bestattungsinstitut anrufen und mich gleich in den Sarg legen.
    Während ich unter schmeichelnder Musikberieselung abwartete, ob man mich hereinbat oder verhaften ließ, sah ich eine Assistentin durch einen gläsernen Korridor gehen und einen gläsernen Konferenzraum betreten. Männer in Anzügen saßen rund um einen Granittisch von den Ausmaßen eines Segelboots. Einer von ihnen – der genauso aussah wie die anderen – stand abrupt auf, als die junge Dame ihm etwas ins Ohr flüsterte. Durch die Glaswände warf er mir einen Blick zu. Arianas Leben hing jetzt von seiner Entscheidung ab. Dann ging er in ein Büro nebenan. Während ich atemlos auf sein Urteil wartete, ging mir auf einmal auf, dass dieses ganze Glas nichts mit Transparenz innerhalb der Firma zu tun hatte. Es war vielmehr die Verkörperung der ultimativen Paranoia. Jeder konnte jeden jederzeit beobachten.
    Zu meiner Erleichterung holte mich die Assistentin, eine Asiatin mit strengem Pagenkopf, in der Lobby ab und führte mich in die Geschäftsräume. Ich durchschritt einen Metalldetektor und legte Dons Autoschlüssel auf ein Silbertablett, das noch einmal separat gescannt wurde. Meinen verschlossenen Umschlag behielt ich jedoch in der Hand.
    Jetzt kam die wahre Herausforderung.
    Der Mann erwartete mich. Er stand mitten in seinem Büro und machte keinerlei Anstalten, mir die Hand zu reichen. »Bob Reimer«, stellte er sich vor.
    Wir standen auf dem Teppich und maßen uns mit Blicken wie zwei Boxer. Er passte in die totale Alltäglichkeit dieser Umgebung – ein Strippenzieher an höchster Stelle, der aber kaum ein Bild auf der Netzhaut hinterließ, so langweilig wie der Wasserspender in einer Bombenfabrik. Er war älter, vielleicht fünfzig, jedenfalls gehörte er zu der Generation, die noch Krawattennadeln trug und Sex mit stimmhaftem S aussprach. Unwillkürlich musste ich an die sich selbst vervielfältigenden Agenten aus
Matrix
denken – weiß, spießig, tadelloser Anzug, perfekt sitzende Frisur. Er war jedermann. Er war niemand. Einmal zu lange geblinzelt, und an seine Stelle hätte problemlos ein Alien treten können, das menschliche Form angenommen hatte. Nach so viel Angst und Verlust und Bedrohungen war die Enttäuschung kolossal – so viel Banalität in einem klimatisierten Büro.
    Er ging hinter mir vorbei und berührte die Glaswand mit den Fingerspitzen, woraufhin sie sich schlagartig eintrübte und uns von den Blicken rundum abschirmte. Wie durch Hexerei.
    Er trat an seinen Schreibtisch und entnahm ihm einen Stab, den ich mit meinem fortgeschrittenen Ausbildungsstand

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