Oder sie stirbt
stand nichts. In der Betreffzeile auch nichts. Noch lag die ungeöffnete Mail sicher auf dem Server, noch hatte ich sie nicht auf meinen Computer geholt. Ich bewegte den Cursor an den Bildschirmrand – nur für den Fall, dass er von selbst auf die Mail doppelklicken wollte.
Sie hatten diesen Computer bereits benutzt, sie hatten von hier die JPEG s von unseren Grundrissen ausgedruckt. Ich warf einen Blick in die History-Funktion des Internet Explorers, um festzustellen, welche Websites in letzter Zeit besucht worden waren. Es war keine dabei, die ich nicht wiedererkannte.
»Hey«, sagte Ariana, »wieso öffnest du die Mail nicht?«
Ich ahmte pantomimisch einen Lauscher nach, dann stellte ich gestisch die Frage:
Wo ist das Störgerät?
Statt zu antworten, zog sie das falsche Marlboro-Päckchen aus der Hosentasche. Sie ließ das Ding wirklich nicht mehr aus den Augen.
»Ich will das nicht hier machen«, erklärte ich, nachdem sie es angeschaltet hatte. »Nicht von meinem Computer.«
»Hör mal«, sagte Ari, »wenn es wirklich um Don und mich geht, dann sollten wir da jetzt gemeinsam durch.«
»Nein, ich meine, ich sollte keine Daten von ihnen auf meinem Computer empfangen. Selbst wenn ich sie lösche, bleiben irgendwo Spuren der Daten auf meiner Festplatte. Oder sie könnten die Mail benutzen, um einen Virus einzuschmuggeln, so dass sie immer Zugriff auf meinen Computer haben.«
»Aber hätten sie so was denn nicht gleich installiert, als sie hier waren?«
Doch ich war schon aufgesprungen und rannte die Treppen hinunter. Ariana folgte mir. »Jerry hat unsere Computer doch auf Spyware überprüft, oder?«, vergewisserte ich mich.
Ich schlüpfte in meine Schuhe und lief Richtung Garage. »Stopp!«, rief sie und deutete auf meine Füße.
Ich blickte hinunter. Ich trug meine verwanzten Nikes. Fluchend schleuderte ich sie in die Ecke und fuhr in meine Loafers. Zusammen mit den weißen Socken vielleicht nicht gerade mein Top-Look, aber ich wollte meinen Stalkern nicht verraten, dass ich auf dem Weg zu Kinko’s war.
Patrick Davis.
Mehr stand nicht in der Mail, allerdings war mein Name ein Link. Im hintersten Eck eines Internetcafés kauerte ich vor dem Bildschirm und linste über meine Schulter. Der Kinko’s-Angestellte bediente gerade eine laute Frau in noch lauteren Klamotten, während die anderen Kunden gerade kopierten oder ihre Kopien zusammentackerten.
Ich wischte mir mit dem Saum meines T-Shirts den Schweiß von der Stirn und knirschte mit den Zähnen. Dann klickte ich auf meinen Namen.
Eine Website öffnete sich. Während ich die Webadresse las – eine endlose Zahlenkolonne, die viel zu lang war, um sie sich einzuprägen – erschien in fetten Lettern ein Schriftzug auf dem Bildschirm: DIESE WEBSITE LÖSCHT SICH NACH EINMALIGEM ANSEHEN. Die Buchstaben flossen geisterhaft in den schwarzen Hintergrund und verschwanden.
Dann erschienen digitale Fotos, eines nach dem anderen, wie bei einer PowerPoint-Präsentation.
Arianas Gewächshaus vor unseren Bäumen, eine Nachtaufnahme.
Ein Foto von innen, in ein grünes, unwirkliches Licht getaucht.
Die Reihe von Töpfen auf dem mittleren Regal an der östlichen Wand. Ihre lavendelfarbenen Mariposas, die in den letzten Monaten ungepflückt und ungetragen geblieben waren.
Eine vertraute Hand in einem vertrauten Latexhandschuh, die den letzten Topf von seinem Untersetzer hob. Auf dem weichen Holz lag eine lila DVD -Hülle.
Diese DVD war drei Tage zuvor noch nicht dort gewesen, als Ariana und ich das Gewächshaus durchsucht hatten.
Ich beugte mich vor und krallte die Hände zusammen. Trotz der DVD s, der Abhörvorrichtungen, des Anrufs war ich immer noch nicht abgestumpft gegenüber der Tatsache, wie sich da jemand an unseren Besitztümern und in unserem Leben zu schaffen machte. Wenn überhaupt, war meine Reaktion inzwischen noch ein Stück heftiger, das eine Trauma verstärkte das nächste, Sandpapier traf auf wunde Haut.
Das Foto verschwand, stattdessen erschien eine Adresse:
2132
Aminta St., Van Nuys,
CA
91
406
.
Verzweifelt hielt ich nach Zettel und Stift Ausschau – in meinem kleinen Verschlag war nichts zu sehen. Ich hechtete an den nächsten Tisch, stieß vor lauter Hektik einen Plastikbehälter mit Büromaterialien um und fischte einen Stift und einen Post-it-Zettel aus dem Durcheinander. Als ich wieder bei meinem Monitor war, sah ich statt der geschriebenen Adresse einen Ausschnitt auf Google Maps. Der gekennzeichnete Ort lag mitten in
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