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Oder sie stirbt

Oder sie stirbt

Titel: Oder sie stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregg Hurwitz
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nachgeholfen hatte, verschwand sie in der Gully-Öffnung. Wir warteten auf einen Aufprall, aber stattdessen gab es nur ein gedämpftes Geräusch, wie von einer sehr weichen Landung. Ich blickte durch das Metallgitter zu meinen Füßen und versuchte angestrengt, dort unten eine Person auszumachen.
    Als Erstes sah ich das Weiße seiner Augen.
    Meine Haut begann überall zu prickeln – im Nacken, an den Rippen, in meinem Mund. Ich zwinkerte, und dann waren die Augen weg, und mit ihnen unsere Tasche. Man hörte nur einen gedämpften Laut auf dem feuchten Beton – der schwache Herzschlag von Schritten, die sich unter der Straße entfernten.
     
    In Jogginghose und T-Shirt kam ich aus dem Bad und rubbelte mir das nasse Haar mit einem Handtuch trocken. Als ich es vom Kopf zog, bemerkte ich Ariana, die mit ihrer allabendlichen Tasse Kamillentee und dem kleinen Rauschgenerator an unserer Schlafzimmertür stand.
    »Tut mir leid«, sagte sie, »aber im Moment möchte ich nicht allein hier oben sein.«
    In der letzten Zeit hatten sich erstaunlich schnell unausgesprochene Regeln entwickelt. Wir hatten aufgehört, uns voreinander umzuziehen. Wenn sie in einem Zimmer war, und die Tür war zu, dann klopfte ich an. Während ich duschte, ging sie nicht ins Schlafzimmer.
    »Dann solltest du auch nicht allein hier oben sein«, meinte ich.
    Wir wichen ein Stück zur Seite, um dem anderen genug Aktionsradius zu lassen, doch ich ging nicht weiter den Flur entlang, und sie ging nicht ins Bett. Stattdessen lehnte sie sich gegen die Kommode, die noch immer mit dem Staub von abgeschlagenem Putz bedeckt war. Wir musterten einander. Meine Hände legten das Handtuch zusammen, falteten es wieder auseinander und legten es noch einmal zusammen.
    »Soll ich heute Nacht oben bleiben?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte sie.
    Ich hörte auf, an meinem Handtuch herumzufalten.
    Sie machte eine unsichere Handbewegung und bemühte sich um einen lässigen Ton, doch ihre Augen straften sie Lügen. »
Willst
du denn bleiben?«
    »Ja«, sagte ich.
    Sie ging zum Bett und schlug die Überdecke auf meiner Seite zurück. Ich setzte mich auf die Matratze, während sie auf die andere Seite ging und unter die Decke schlüpfte. Ihre Sachen hatte sie noch an. Ich kam auch ins Bett, ebenfalls angezogen. Dann streckte sie die Hand aus und drehte das Licht aus. Da saßen wir nun und lehnten am geschwungenen Kopfende unseres Bettes. Ich konnte mich nicht erinnern, dass ich das neue Bett bis jetzt auch nur berührt hatte. Es war tatsächlich so gemütlich, wie es aussah.
    »Machst du das wirklich?«, fragte sie. »Schaust du mir morgens manchmal durchs Fenster zu, wenn ich weine?«
    »Ja.«
    Sogar im Dunkeln blickten wir starr geradeaus, statt einander anzusehen.
    »Und warum? Um dich zu vergewissern, dass es mir immer noch leidtut?« Ihre Stimme klang dünn und verletzlich. »Dass es mir immer noch nahegeht?«
    Wir blieben schweigend sitzen.
    »Ich will jedes Mal reingehen und dich in den Arm nehmen«, erwiderte ich. »Aber dann fehlt mir der Mut.«
    Ich spürte, wie sie den Kopf langsam in meine Richtung drehte. »Wie wär’s, wenn du’s jetzt einfach tust?«
    Als ich den Arm hob, rutschte sie an meine Seite und legte mir den Kopf auf die Brust. Ich strich ihr übers Haar. Sie war so warm und weich. Da musste ich plötzlich an Dons Hände und seinen Ziegenbart denken und fühlte im ersten Moment den Impuls, mich wieder von ihr zurückzuziehen. Doch ich verkniff es mir. Ich dachte darüber nach, welche Kluft zwischen dem gähnte, was ich tun wollte und was ich glaubte, tun zu müssen. Eine Kollision verschiedener Ichs, eine Kreuzung, an der ich zu einer anderen Zukunft abbiegen konnte. Meine Frau hatte mich betrogen. Und jetzt hielt ich sie im Arm. In diesem Moment waren wir zusammen. Ängstlich überlegte ich, wie das aussehen musste – nicht in den Augen anderer, sondern für mich. In meinen ruhigeren Momenten, wenn ich zur Arbeit fuhr, in den Pausen an meinem Kaffee nippte, eine schlaue Filmszene übers Fremdgehen sah, während Ari sich neben mir versteifte und unser ganzer Kummer im Dunkel eines Kinosaals wieder erwachte. Ein Wink mit dem Zaunpfahl aus vergangenen Zeiten, der uns zu verstehen gab, wie es eigentlich hätte laufen sollen.
    »Ich glaube, ich möchte ein Baby«, verkündete Ariana.
    Auf einen Schlag hatte ich ganz trockene Lippen. »Ich hab mir sagen lassen, dass man dafür Sex haben muss.«
    »Nicht jetzt
gleich.
«
    »Ich wollte auch gar nicht

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