Oder sie stirbt
Polizisten: »Sehen Sie seine Gesichtsfarbe? Wird der gleich ohnmächtig? Sicher nicht? Gut. Lassen Sie uns allein.« Leises Gemurmel, dann schnaubte Sally kurz und sagte: »Ja, ich glaube, wir kommen allein mit ihm klar.«
Ihr trockener Ton – immerhin etwas Vertrautes – brachte mich wieder einen Schritt in die Realität zurück. Die Polizisten verließen das Zimmer, und Valentine postierte sich neben der Schiebetür, um mir den Weg abzuschneiden, falls ich versuchen sollte, über den Balkon zu fliehen. Sally zog sich einen Stuhl von dem massiven Hotelschreibtisch heran, drehte ihn mit einer Bewegung ihres dicken Handgelenks um und setzte sich mir gegenüber.
»Sie sind mit einer nicht regulär ausgegebenen Magnetkarte, die Ihnen Zugang zu sämtlichen Räumen verschafft, in dieses Hotel eingedrungen, Sie wurden in einem Zimmer angetroffen, das nicht Ihres ist, neben der Leiche Ihres erklärten Feindes und Hauptklägers, mit einer Mordwaffe, auf der sich Ihre Fingerabdrücke befinden. Was haben Sie dazu zu sagen?«
Das Zimmer roch nach Staub und Fensterreiniger. Direkt hinter meinem Fuß befand sich die Stelle, an der – nur vier, fünf Zimmer weiter den Flur hinunter – Keith Conners Leiche lag, während langsam die Totenstarre eintrat. Meine Kehle war so trocken, dass ich nicht sicher war, ob ich einen Ton hervorbringen konnte. »Ich bin ein Idiot?«
Kurzes Nicken. »Das ist ja schon mal ein Anfang.« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Wir haben ungefähr zwanzig Minuten, bevor die Kollegen vom Morddezernat eintreffen und übernehmen …«
»Was? Wie zum Teufel soll ich dem Morddezernat trauen?«
»Das ist nicht unbedingt Ihre …«
»Wenn die die Sache übernehmen, bin ich geliefert. Die haben mich doch so was von astrein. Niemand wird ein Wort von dem glauben, was ich sage.« Ich war vom Bett aufgestanden, aber sie bedeutete mir mit einer ernsten Geste, mich wieder hinzusetzen. »Warum können Sie den Fall nicht weiter bearbeiten?«
Ihre dünnen Augenbrauen wanderten ein paar Millimeter nach oben. »Haben Sie eigentlich eine Vorstellung davon, wie das hier aussieht? Die Presse hat bereits Wind von Keith Conners Ableben bekommen, und man stellt erste Vergleiche an zu River Phoenix und – kein Witz – James Dean. Auf meinem Weg hierher hat mich schon zweimal die Staatsanwältin angerufen. Die Staatsanwältin höchstpersönlich. Wir haben hier einen toten Kinostar. Valentine und ich haben nicht mehr mit einem Mord an einem Kinostar zu tun gehabt seit … tja, lassen Sie mich überlegen … ach ja, jetzt hab ich’s: Noch nie! Sie können Ihren Arsch drauf verwetten, dass diese Sache an allerhöchster Stelle verhandelt wird. Wenn es also irgendetwas gibt, was wir wissen sollten, dann sollten Sie jetzt sofort losschießen.«
Und das tat ich. Obwohl ich meine Gedanken nicht ganz beieinanderhatte und meine Stimme zitterte, riss ich mich zusammen und berichtete ihnen alles, was vorgefallen war. Valentine blieb mit verschränkten Armen und ausdrucksloser Miene stehen. Nur ab und zu hörte man das leicht schmatzende Geräusch, wenn er die Luft durch seine Zähne sog. Sallys Stift kratzte übers Papier, während draußen die Helikopter wie Falken am Nachthimmel kreisten und ab und zu ein Scheinwerfer unsere Gardinen streifte.
Als ich geendet hatte, bedachte mich Sally mit einem ausdruckslosen Blick. »Und das ist Ihr Ernst.«
Es klang nicht wie eine Frage, aber ich sagte: »Wenn ich mir so was ausdenken könnte, würde ich immer noch Drehbücher schreiben.«
»Die Polizei hat über das Hoteltelefon einen Tipp von einem anonymen Anrufer bekommen. Ein Mann behauptete, eine Person, deren Beschreibung auf Sie passt, hätte Keith Conner in Zimmer 1407 genötigt.«
»
Das
war der echte Mörder. Wenn sein Plan aufgehen sollte, musste der Todeszeitpunkt nahe an meinem Eintreffen liegen. Keith war gerade erst ermordet worden, als ich …«
Sie hob die Hand. Stopp. Ich wartete, halb verzweifelt, halb hoffnungsvoll, und versuchte, ihre Miene zu deuten. Sie sah mich ebenfalls an. Sie wirkte wütend, entweder auf sich selbst oder auf mich.
»Sie müssen mir glauben«, beharrte ich. »Weil mir sonst keiner glauben wird.«
Sie kaute eine ganze Weile an der Innenseite ihrer Wange herum. »Wenn man unschuldigen Verdächtigen zusetzt, werden sie immer wütender. Die Regel hat sich bewährt. Trifft zu für die Hälfte aller Fälle.«
Mir wurde kalt. War ich wütend gewesen? Wütend genug?
»Und die
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