Oder sie stirbt
gehörte zu einer dunklen Masse, die links neben mir lag. Mein entsetztes Luftschnappen steigerte sich in meinem Schädel zu pfeifender Lautstärke, und ich blinzelte durch die Dunkelheit auf die grotesk verdrehte Leiche, die vor dem Bett auf dem Rücken lag. Die weißen Hände waren im Todeskrampf verkrümmt, die Stirn war eingedrückt, schwarze Blutrinnsale waren ins Haar und ins Ohr gesickert und in der Augenhöhle zu einer Pfütze zusammengelaufen. Die berühmten Augenbrauen. Die perfekten weißen Zähne. Und – meine Nemesis – der wohldefinierte Unterkiefer.
HEUTE NACHT WERDEN SIE ALLES VERSTEHEN .
Das Grauen ballte sich in meiner Kehle zusammen und schnürte mir die Luft ab. Noch bevor ich sie hörte, wusste ich, dass sich Stiefel über den Flur näherten. Ich trat einen Schritt vom Bett zurück und blickte auf die prachtvolle smogvernebelte Silhouette der Stadt. Ich zog meinen jämmerlichen Zettel aus der Tasche und hob die Arme über den Kopf, und im nächsten Sekundenbruchteil flog auch schon die Tür auf, und das starke Licht von Polizeitaschenlampen blendete mich.
[home]
33
I ch habe ihn nicht umgebracht. Ich habe ihn nicht umgebracht. Es klang, als wäre es meine Stimme, die diese Worte immer wieder wiederholte, aber ich war nicht sicher, ob ich sie nur in meinem Kopf hörte oder ob sie aus meinem Mund kam, bis irgendwann einer von den Polizisten meinte: »Ja, ist gut, wir haben’s jetzt verstanden.«
Sie standen in Zweier- und Dreiergruppen zusammen und sprachen abwechselnd in ihre Handys oder in ihre Funkgeräte. In ihren Blicken lag weniger Feindseligkeit als gedankenverlorenes Staunen. Sie waren selbst überrumpelt vom Ausmaß des Verbrechens, in das sie hier hineingestolpert waren. Ich hörte sie wie aus weiter Ferne, ihre Worte drangen nur schwer durch das Rauschen in meinen Ohren. Wahrscheinlich stand ich unter Schock, aber andererseits – wenn man unter Schock stand, sollte man ja eigentlich keine so schreckliche Angst mehr empfinden.
Ich wurde grob nach Waffen abgetastet und dann in ein anderes Zimmer auf demselben Flur geführt, das genauso aussah wie Nummer 1407 . Sie nahmen mir den Zettel aus der Hand, auf dem meine Bitte zu lesen stand, dass sie sich mit Sally Richards in Verbindung setzen sollten. Allerdings wusste ich nicht, ob sie schon versucht hatten, sie zu erreichen. Immerhin fiel das Hotel Angeleno in ihren und Valentines Zuständigkeitsbereich, das war ein Hoffnungsschimmer.
Ich setzte mich auf die Ecke des Bettes. Als ich den Blick senkte, fiel mir auf, dass ich gar keine Handschellen trug, obwohl ich mich vage entsinnen konnte, dass man mir irgendwann welche angelegt hatte, bevor man mit Hilfe von Wattestäbchen Laborproben von meinen Händen nahm. Anscheinend wussten sie noch nicht so recht, was sie mit mir anfangen sollten.
Eine der Polizistinnen fragte: »Sollen wir Ihre Frau benachrichtigen?«
»Nein. Ja. Nein.« Ich stellte mir vor, wie Ari aufwachte und feststellte, dass ich weg war. Nach ungefähr zwei Sekunden würde ihr klar sein, dass ich zum Hotel gefahren war, obwohl ich ihr versprochen hatte, es nicht zu tun. »Ja. Sagen Sie ihr, dass es mir gutgeht. Also, weder verletzt noch tot, meine ich.« Ich erntete ein paar befremdete Blicke. »Sie haben mich hierhergeführt. Sie haben mir eine Wanze in den Schuh getan. Geben Sie mir bitte mal einen Stift? Hier. Hier, ich zeig’s Ihnen.«
Einer der Polizisten zog einen Kuli aus der Brusttasche, klickte ihn an und reichte ihn mir. »Pass auf«, warnte einer seiner Kollegen.
Ich bohrte die Spitze der Kugelschreibermine in die Sohle meines Schuhs, dort, wo die dünnen Einschnitte waren. Der Stift bog sich und zerbrach beinahe, aber ich bekam schon mal ein Stückchen Gummi heraus. »Die haben mir eine Wanze hier reingetan. Genau hier. Sie haben jeden Schritt verfolgt, den ich …« Ich bog die Sohle zurück und grub mit dem Finger in dem Loch.
Nichts.
Mir blieb die Luft weg. Dann sackte ich in mich zusammen.
Einer der Polizisten lachte leise. Die anderen sahen aus, als täte ich ihnen leid. Der Schuh glitt mir aus der Hand und fiel zu Boden. An der Zehenspitze hatte ich ein Loch in der Socke. »Vergessen Sie’s«, flüsterte ich. Mit zitternden Händen und ohne den Blick zu heben, hielt ich den Stift hoch und merkte, wie der Polizist ihn mir wieder abnahm.
Da klopfte es energisch an der Tür, und Sally trat ein, mit Valentine im Schlepptau. Sie runzelte die Stirn, dann fragte sie den nächsten
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