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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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verschwunden sind, könnte das auch erklären, warum keine Wrackteile gefunden wurden; die Teile sind einfach zu der Insel gezogen worden und dort geblieben.« Sigbrit Hollands Augen leuchteten eifrig.
    »Ja, das könnte schon sein«, sagte der Fischer langsam. »Man weiß es nur nicht.«
    »Nein«, begann Sigbrit Holland, dann erhellte sich ihr Gesicht. »Wo ist Odin?« Sie ging ins Steuerhaus und fand den kleinen alten Mann am Fenster, wo er in den Sternenhimmel guckte.
    »Odin«, begann sie. »Sagen Sie, gibt es Vögel auf der Insel?«
    Odin dachte über die Frage nach. Es war Winter gewesen, als er in Smedieby war, und es hatte wahrlich nicht viele Tiere gegeben. Aber doch, die Dorfbewohner hatten hier und da Garben aufgestellt, und er hatte auch ein paar graue zerzauste Vögel gesehen.
    »Ja, es gibt Vögel in Smedieby«, sagte er und zog an seinem Bart, während er versuchte, sich an andere Vögel zu erinnern, die auf wundersame Weise genauso aus seinem Gedächtnis verschwunden waren wie das, was vor Smedieby und dem Meteorsturm gewesen war, ganz zu schweigen von den Unheilsbotschaften.
    »Vögel«, wiederholte Sigbrit Holland. »Aber waren es die gleichen Vögel wie die, die Sie auf dem Kontinent gesehen haben?«
    »Nein.« Odin dachte angestrengt nach. Er konnte sich nicht genau an sie erinnern, aber er meinte doch mit ziemlicher Sicherheit sagen zu können, dass er die grauen zerzausten Vögel nicht mehr gesehen hatte, seit er auf den Kontinent gekommen war. »Nein, ich befürchte, dass ich diese Vögel nicht ein einziges Mal auf dem Kontinent gesehen habe.« Er zog an seinem Bart. »Aber ich hoffe wahrlich, dass ihnen nichts passiert ist?«
    »Nein, nein«, beteuerte Sigbrit Holland. »Keineswegs. Aber das ist phantastisch.« Sie lief fast aus dem Steuerhaus.

    »Ambrosius! Ambrosius!«, rief sie. »Odin hat die Vögel, die es auf der Insel gibt, nie in Südnorden gesehen.«
    »Und?«
    »Das kann bedeuten, dass die Vogelarten, die auf der Insel fliegen können, hier nicht fliegen können und umgekehrt, und das kann bedeuten, dass der Luftraum über der Insel von einer Kraft beeinflusst wird, die nur dort wirkt. Zum Beispiel von einer besonderen Schwerkraft!«
    Der Fischer Ambrosius lächelte.
    »Nicht schlecht, holde Frau. Gar nicht schlecht.« Ohne Vorwarnung nahm er ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie auf die Stirn.
    Sigbrit Holland spürte, wie die Wärme durch sie hindurchströmte, aber bevor sie reagieren konnte, hatte der Fischer sie schon wieder losgelassen. Sie trat verwirrt einen Schritt zurück.
    »Was ist mit Brynhild Sigurdskaer?«, fragte sie rau.
    Der Fischer Ambrosius antwortete nicht, wandte ihr nur den Rücken zu und lehnte sich gegen die Reling.
    Sigbrit Holland wartete einen Augenblick. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging ins Steuerhaus. Sie atmete ein paar Mal tief durch, sammelte ihre Physikbücher zusammen und nahm sie mit nach draußen. Sie schaltete die Lampe über der Tür ein und öffnete eins der Bücher.
    »Das Gesetz der Schwerkraft besagt, dass jeder Körper im Universum von jedem anderen Körper mit einer Kraft angezogen wird, die umso stärker ist, je größer die Masse der Körper ist und je dichter die Körper beieinander sind.«
    »Und?«, brummte der Fischer Ambrosius.
    »Ja, wenn das spezifische Gewicht der Insel aus dem einen oder anderen Grund größer ist als das spezifische Gewicht um die Insel herum, werden Schiffe und Flugzeuge von der Insel angezogen, ohne eine Chance zu haben, auszuweichen.«
    »Holde Frau«, der Fischer drehte sich langsam, fast widerstrebend um, »du darfst nicht vergessen, dass die Rikke-Marie nicht zu ihr hingezogen worden ist, als sie auf die Klippen geprallt ist. Es waren nur Wind und Wellen, die uns in ihrem Zusammenspiel dagegen geworfen haben.«

    »Wie können wir uns da eigentlich so sicher sein?«
    In diesem Moment schaukelte das Boot, und die Schulter des Fischers streifte leicht Sigbrit Hollands Schulter.
    »Erklär uns etwas anderes«, sagte der Fischer Ambrosius sanft. »Wie erklärt man, wenn sich eine besonders starke Schwerkraft in einem ganz bestimmten Feld entwickelt?«
    Sigbrit Holland rückte ein wenig von ihm weg, nicht viel, aber genug, dass sich ihre Schultern nicht mehr berührten.
    »Das ist ein wenig kompliziert, ich weiß es nicht genau. Aber in der Theorie kann man das gut erklären«, sagte sie leicht verwirrt und nahm sich zusammen. »Wenn man sich die Erde als Universum in sich vorstellt.«

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