Odins Insel
Adelstensfostres Hütte kam. Sigbrit Holland war noch nicht lange im Wasser, als sie merkte, dass sie sich nicht nach Osten, sondern nach Süden bewegte, von der Insel weg. Und nun kam der Eremit am Strand entlanggelaufen und winkte mit den Armen, während er etwas rief, das sie nicht hören konnte. Eine Sekunde glaubte sie, dass er versuchte, sie zu erschrecken und vom Schwimmen abzuhalten, aber seine Gebärden waren anders als vorher, und er trug auch das Schwert nicht bei sich. Obwohl sie seine Worte nicht verstehen konnte, war ihr plötzlich klar, was er ihr zu sagen versuchte: Es herrschte eine starke Unterströmung.
Sigbrit Holland legte all ihre Kräfte in ihre Stöße, aber sie kam gegen die starke Strömung nicht an. Wie sehr sie sich auch anstrengte, sie entfernte sich weiter und weiter von der Küste.
»Ambrosius! «, rief sie und trat Wasser, während sie versuchte den Mund nicht voll Salzwasser zu bekommen. »Ambrosius!«
Aber das grün-orangene Fischerboot war bereits zu weit weg.
Sie begann wieder zu schwimmen, aber ihr wurde langsam kalt, und ihre krampfhaften Bewegungen führten zu nichts. Meter um Meter gewann die Strömung den ungleichen Kampf. Die Wellen wurden höher, und bald hatte Sigbrit Holland allein damit genug zu tun, den Kopf über Wasser zu halten. Sie blickte über die Schulter; da waren mehrere vereinzelte Klippen, und dahinter lag nur noch das offene Meer.
»Ambrosius! «, schrie sie wieder, obwohl sie wusste, dass er sie nicht hören konnte. Sie biss die Zähne zusammen, wechselte von Brustschwimmen zu Kraulen und wieder zurück. Ihre Muskeln taten weh. Sie war eine gute Schwimmerin, aber die Strömung war stärker als sie, und die Kälte raubte ihr die letzten Kräfte. Sie würde es nicht schaffen. Dann warf eine Welle sie hoch, und weiter zum Land hin sah sie einen Kopf. Der Eremit war auf dem Weg zu ihr.
Erleichterung überflutete sie, und sie entspannte sich einen Augenblick. Dann begann sie wieder, Brustschwimmen, Kraulen, dann wieder Brustschwimmen. Die Strömung zog sie weiter hinaus, aber der Eremit holte sie langsam ein. Er hob die Hand und rief etwas. Sie konnte nicht hören, was er sagte, hob jedoch die Hand zu einem Winken; sie hatte ihn gesehen. Harald Adelstensfostre rief wieder und zeigte auf etwas hinter ihr. Sigbrit Holland trat Wasser und drehte den Kopf, aber es war bereits zu spät. In diesem Moment traf ihr Bein auf etwas Scharfes, und bevor sie noch die Hände ausstrecken konnte, wurde sie gegen die Klippen geworfen, mit dem Kopf voran.
X Mimers Quelle
Weit weg im Reich Udgard
der Saft der Wurzel des Lebensbaums
heilig war die Träne der Einsicht
Riese Mimer den Ursprung der Quelle bewachte
Odin flog mit Adlerpracht
narrte den Riesen in seinem Heim
doch Mimer zeigte er das Gesicht
betrog den Verstand; welch unkluge List
»Nimm dein Auge, gib es mir
einen Tropfen der Quelle du bekommst
Ein Tropfen der Geisteskraft ist genug
hält man Gedanken, Erinnerung in Ehren«
Zwei Raben aus Odins Ohren aufstiegen
genug gehört, jetzt heißt es handeln
Schnell gepflückt des Gottes linkes Auge
das Pfand ward in Mimers Hand gedrückt
Nun war Odin weiser als weise
A m ersten Oktobertag brannte die nordnordische Botschaft in Fredenshvile bis auf die Grundmauern ab. Es war genau zu der Zeit, als die Bäume in der Hauptstadt erst gelb, dann rot und braun wurden, bevor die Blätter abfielen und in den Rinnstein wehten, aus dem sie gesammelt und als Grundsubstanz für die zahlreichen Feuer verwendet wurden, die die Lämmer des Herrn hier und da und überall anzündeten. Doch zum Verdruss des heiligen Anders Andersen verblassten die Opferfeuer der Lämmer des Herrn vollständig neben dem funkelnden Strahlenglanz der nordnordischen Botschaft. Die Botschaft brannte die ganze Nacht, und die ganze Nacht war der östliche Teil der Stadt hell wie an einem Sommernachmittag. Die Feuerwehrleute konnten nicht viel mehr tun, als die Neugierigen in gehörigem Abstand halten und dafür Sorge tragen, dass das Feuer sich nicht auf andere Gebäude ausbreitete.
Ja, das hatten sie gut gemacht! Es (alias Esra) war stolz auf sie. Den sechs jungen Männern mit Bürstenhaarschnitt, die das Feuer angesteckt hatten, war es noch gelungen, die Nachricht, für die sie sich entschieden hatten, in roten Buchstaben mitten auf den gut gepflegten Rasen hinter der Botschaft zu sprühen: Überlasst den Großen Mann dem auserwählten Volk. Diese Worte ließen kaum Zweifel an der
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