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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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könnte vielleicht erklären, warum manche Menschen krank wurden, aber nie war behauptet worden, dass sie moderne Flugzeuge zum Abstürzen bringen konnte. Und Unterschiede in der Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde kamen nicht in Frage, da der Großvater des Fischers Ambrosius bei seiner Ankunft in Südnorden genauso alt gewesen war wie bei seinem Verlassen der Insel. Nach vier Tagen waren sie einer physikalischen Erklärung nicht näher als dem Eremiten. Und als sie am fünften Tag die Theorie verworfen hatten, wonach die besonderen Vorkommnisse auf die Freisetzung von Metanhydrogengasen vom Meeresboden zurückzuführen waren, durch die die Tragfähigkeit des Wassers zwischenzeitlich aufgehoben wurde – was vielleicht Schiffe zum Sinken bringen konnte, aber keine Auswirkungen auf Flugzeuge hatte –, hatte der Fischer Ambrosius genug.
    »Entweder gehen wir jetzt auf die Insel und sprechen mit ihm, oder wir reisen ab!«, sagte er und schaute aus dem Fenster zu dem wettergegerbten Hügel.
    »Wir können doch nicht abreisen, ohne mit ihm gesprochen zu haben«, protestierte Sigbrit Holland. »Er ist die einzige Hoffnung, die wir noch haben.«

    »Fast«, brummte der Fischer. »Wir haben auch noch die Sprüche und Brynhild Sigurdskaer.«
    »Ja, aber ungeachtet welche Sprüche Brynhild Sigurdskaer auch gefunden hat, sie helfen uns nicht, wenn wir keine richtige physikalische Erklärung für sie haben.« Sigbrit Holland war aufgebracht. »Wir müssen eine physikalische Erklärung finden oder die Einfahrtroute oder – am besten – beides.«
    »Ja, und da wir im Augenblick nichts davon haben, bleibt uns nur noch Brynhild Sigurdskaer.«
    Sigbrit Holland starrte den Fischer wütend an.
    »Gut, holde Frau«, sagte er ungerührt. »Wir sind zu einem letzten Versuch bereit, aber wenn er fehlschlägt, nimmt die Rikke-Marie bei Morgengrauen Kurs auf Karlsund. Die Rikke-Marie ist für so etwas nicht gebaut.«
    Sigbrit Holland schüttelte langsam den Kopf, zog dann aber eine Jacke über ihren Pullover und folgte dem Fischer und Odin aus der Tür.
    Es war vier Uhr nachmittags, aber das Licht nahm bereits ab, und die wenigen Grüntöne, die es auf der Insel gab, sahen grauer aus als je zuvor. Die Wellen krachten auf den steinigen Strand, und der Wind schlug ihnen kalt und hart ins Gesicht. Lange bevor sie die Spitze des Hügels erreicht hatten und der Eremit sie mit seinem hoch über dem Kopf geschwungenen goldenen Schwert und seinen unverständlichen wütenden Rufen zum Boot zurückgejagt hatte, wusste Sigbrit Holland, dass sie verloren hatte – der Fischer Ambrosius hatte Recht, sie konnten nicht länger bleiben.
    Zurück im Steuerhaus setzte der Fischer sich ruhig hin und stopfte seine Pfeife.
    »Es gibt wohl keinen Grund, über vergossene Milch zu weinen«, sagte er und zündete die Pfeife an, während er Sigbrit Holland ansah, die rastlos hin und her ging. »Es war eine gute Idee«, fuhr er tröstend fort. »Sie war einen Versuch wert. Aber es hat nicht funktioniert.«
    »Eine Niederlage ist erst eine Niederlage, wenn man akzeptiert, dass sie eine Niederlage ist«, sagte Odin und zog nachdenklich an seinem Bart.

    Sigbrit Holland blieb abrupt stehen und sah Odin an, dann blickte sie wieder aus dem Fenster. Der Eremit stand noch immer am Ende der Brücke, die Hände auf dem Schaft seines Schwertes ruhend, das er fest in die Erde zwischen seinen Füßen gerammt hatte.
    Er sah nicht besonders entgegenkommend aus. Aber er sah auch nicht richtig bedrohlich aus. Sie durften keinen Fuß an Land setzen, nein. Aber er verjagte sie nicht von der Brücke. Sie musste an den Mythos von Kraka denken, die angezogen und doch nackt vor Regnar Lodbrog treten sollte, fastend, aber doch nach dem Essen, ohne Gesellschaft, aber doch nicht alleine.
    Sigbrit Holland drehte sich vom Fenster weg und sah wieder zu Odin, dann zu dem Fischer Ambrosius, und ohne ein Wort zu einem der beiden zu sagen, trat sie entschlossen aus dem Steuerhaus, zog Schuhe und Strümpfe aus, Pullover und Hose. Dann sprang sie kopfüber ins Wasser.
    Das Meer schloss sich um sie wie ein eiskalter Schauer, und Sigbrit Holland brach keuchend mit klappernden Zähnen durch die Oberfläche, einen Augenblick außer Stande, irgendetwas zu spüren. Dann kehrten ihre Sinne zusammen mit einer schmerzenden Kälte zurück, und sie begann zu schwimmen. Sie schwamm an der Küste entlang nach Osten, während sie überlegte, ob ihr Körper der Kälte standhalten würde, bis sie zu Harald

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