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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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Esra) zog eine Sonnenbrille aus der Tasche und die Mütze tiefer in die Stirn. Dann war er da. Er legte den Kopf in den Nacken und sah zum dritten Stock hoch. Im Fenster hing ein Schild – dann war die Anzeige doch richtig gewesen. Ein Schatten bewegte sich hinter dem Netz der Gardine, und Es (alias Esra) beeilte sich weiterzukommen.
    Wie konnten sie sie nur so ernst nehmen, diese schmutzige Notiz, die er durch das Fenster in die Wohnung seiner Eltern geworfen hatte? Es (alias Esra) griff nach einem Laternenpfahl und blieb stehen. Alles war aus dem Ruder gelaufen. Er musste zurückgehen und seiner Familie alles erklären. Es (alias Esra) plante bereits seine Heimkehr, als ihm die letzten Worte seines Vaters einfielen: Komm nicht zurück, bevor du nicht deinen Frieden mit Jahve und der Tatsache gemacht hast, dass Jahve und der Große Mann deinen Bruder und nicht dich zum heiligen Propheten der neuen Zeiten erwählt haben.
    Es (alias Esra) machte kehrt und ging dann festen Schrittes die Straße hinunter. Trotz des eisigen Windes breitete sich langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht aus; es würde nicht mehr lange dauern. Spätestens dann, wenn die Wiedergeborenen Juden wirklich den Versuch unternahmen, auf die Insel zu kommen, würde Hesekiels Betrug auffliegen. Es (alias Esra) brauchte nur zu warten und zuzusehen. Und was machte es im Grunde schon, wenn die Eltern das Zuhause seiner Kindheit verkauften? Und wenn die fünf restlichen Onkel sowie die Witwe des sechsten Onkels ihr Zuhause verkauften? Das würde Hesekiels Schwindel nur umso schrecklicher machen!
    Von weiter oberhalb der Straße ertönte plötzlich gewaltiger Lärm. Glas zersplitterte, Stimmen riefen, und Füße liefen in seine Richtung. Esra (alias Es) glitt schnell in einen Treppenaufgang und presste sich gegen die Mauer. Eine kleine Gruppe Wiederauferstandener Christen stürzte vorbei. Sie blickten immer wieder über ihre Schultern, als würden sie verfolgt. Die Verfolger
ließen auch nicht lange auf sich warten. Es waren zwölf braun gekleidete Männer, die in dem starken Wind so rhythmisch wie möglich marschierten und denen es offensichtlich gleichgültig war, dass die Wiederauferstandenen Christen entkamen.
    Die Rächer blieben direkt vor dem Treppenaufgang stehen, in dem Esra (alias Es) sich versteckt hielt. Der Wind schlug ihnen in die Gesichter und ließ ihre Augen tränen, aber das schlechte Wetter schien ihnen gut zu passen. Einer von ihnen, ein kräftiger Typ mit breitem Kiefer, öffnete eine große Tasche, zog eine Keule heraus und gab sie dem ihm am nächsten Stehenden. Dann zog er noch eine Keule heraus und noch eine und so fort, bis alle zwölf eine in der Hand hielten. Anschließend richtete er sich auf, faltete die Tasche zusammen, steckte sie ein und ließ den Blick die Straße hinunterwandern. Esra (alias Es) duckte sich, aber zu spät. Es ertönte ein begeisterter Schrei, und kurz darauf war Es (alias Esra) zu seiner eigenen unangenehmen Überraschung dabei, die Geschäftsfenster zu zerschlagen, in denen auch nur das kleinste bisschen Weihnachtsschmuck – Weihnachtsdreck, wie er selbst früher erklärt hatte – zu sehen war, während er hörte, wie Teile seiner eigenen Reden im Takt mit den Keulenschlägen wiederholt wurden: Religion ist die ultimative Tyrannei, die ultimative tyrannische Art, das Volk zu unterdrücken, indem man seine privaten Gedanken verführt. Und Weihnachten ist das ultimative Symbol dieser ultimativen Unterdrückung!
     
    Trotz des energischen Einsatzes der Rächer und des brutalen Windes, der Tag und Nacht von Norden herangefegt kam, waren in ganz Südnorden die Weihnachtsvorbereitungen in vollem Gange. Tannen wurden gefällt und in die Stadt gebracht, verkauft und nach Hause getragen. Enten, Schweine und Gänse wurden geschlachtet und zu Enten-, Schweine- oder Gänsebraten verarbeitet. Vanillekränzchen, Pfeffernüsse und Lebkuchen wurden massenweise gebacken, während Nougat, Marzipan und Schokolade zu Konfekt gerollt und erwünschte sowie unerwünschte Geschenke in glänzendes Papier mit farbenprächtigen Bändern verpackt wurden.

     
    Der Staatsminister wiederholte – am dritten Sonntag in diesem Advent – die Warnung an die nordnordische Regierung:
    Wenn die nordnordische Regierung nicht bis zum Mittag des Weihnachtsabends Herrn Brams Bramsentorpf freigelassen und ihren territorialen Anspruch auf die Drude-Estrid-Insel aufgegeben hat, sieht die südnordische Regierung sich gezwungen, die Meerenge zu

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