Odins Insel
ließ den Brief sinken und setzte seine Lesebrille ab. Er erlaubte sich ein kurzes lautloses Fluchen. So ein Brief war nicht nur höchst anmaßend, er kam auch höchst ungelegen. Die gepriesene Freigebigkeit des Bischofs bezog sich eher auf die Mittel der etablierten Kirche als auf seine eigenen, und es war mehr als offensichtlich, dass Bischof Bentsen sich eher der Letztgenannten als der Erstgenannten bedienen musste, um Herrn Odins Dienst zu erwidern. Inzwischen hatten das Leben und die Erfahrung Bischof Bentsen gelehrt, dass die beste Methode ein Problem zu lösen darin bestand, es nicht zu lösen, sondern es zu beseitigen. Und obwohl der Preis hoch war, unerfreulich hoch
sogar, brauchte Bischof Bentsen nicht lange, um zu beschließen, dass er für die endgültige Beseitigung Herrn Odin Odins nicht zu hoch war. Die Zeit war reif, noch einmal nach Viktor Valentino zu schicken.
»Das wird nicht einfach«, sagte Viktor Valentino, nachdem Bischof Bentsen ihn über den Stand der Dinge informiert hatte.
»Natürlich weiß ich, dass das nicht einfach wird«, sagte Bischof Bentsen gereizt und ungeduldig, fuhr dann jedoch in einem einschmeichelnderen Ton fort: »Genau deshalb habe ich ja nach Ihnen geschickt.« Was Bischof Bentsen von Viktor Valentino verlangte, war, haargenau die Instruktionen zu befolgen, die als Postscriptum in Herrn Odins Brief aufgeführt waren, nur mit der kleinen Ergänzung, dass Viktor Valentino sich den Weg zu dem kleinen alten Mann einprägte.
»Und dann müssen wir uns natürlich versichern, dass ein Betrug ausgeschlossen ist«, fuhr Bischof Bentsen fort.
»Aber der Brief… niemand anderer als Signor Odino selbst weiß, dass Bischof Bentsen durch meine Wenigkeit Signor Odino nahe gelegt hat, richtig lange und schöne Ferien zu machen …«
»Das meine ich nicht!«, unterbrach ihn der Bischof. »Wir müssen sicherstellen, dass der kleine alte Mann nicht einfach das Geld nimmt und dann das tut, wozu er Lust hat. Viel für etwas zu zahlen ist eins, aber für das viele, das ich zahle, will ich wenigstens etwas haben«, rief der Bischof und schlug mit der Faust auf den Tisch, dass Viktor Valentino zusammenzuckte. Der Bischof dämpfte die Stimme zu einem fast milden Flüstern. »Und dieses Etwas, das ich haben will, ist, dass Herr Odin Odin bis Weihnachten Südnorden verlassen hat.«
Viktor Valentino erklärte sich mit der Wichtigkeit dieses Punktes völlig einverstanden.
»Verlassen Sie sich ganz auf mich«, sagte er nach einer kurzen Gedankenpause. »Ich werde nicht nur Signor Odinos Aufenthaltsort ausfindig machen, ich werde auch dafür sorgen, dass diese Information weitergegeben wird …« Viktor Valentino
schmunzelte, »dass sie… sagen wir, an die falschen Leute weitergegeben wird, falls Signor Odino Südnorden nicht bis zum Mittag des Weihnachtsabends verlassen hat.«
Zwei Tage später wurden Viktor Valentino mit einer Binde die Augen verbunden, und er wurde durch den heulenden Wind zu dem fensterlosen Gepäckraum eines blauen Lieferwagens gebracht, den Sigbrit Holland eigens für diesen Anlass angemietet hatte. Um Viktor Valentino zu verwirren, fuhr Sigbrit Holland eine Zeit lang quer durch die Stadt, bevor sie den Weg zur Firöbrücke einschlug. Sie parkte den Lieferwagen vor der Tür der Schiffshalle, und der Fischer Ambrosius führte den Priester an Bord des grünen Fischerbootes, das früher einmal grün-orange gewesen war. Erst als Viktor Valentino die Leiter heruntergeklettert war und in der mittleren Kajüte auf der Koje des Fischers saß, erhielt er die Erlaubnis, die Binde von den Augen zu nehmen.
Viktor Valentino blinzelte ein paar Mal, gewann seine Fassung ansonsten jedoch bald wieder. Mit feierlicher Miene gab er Odin die Hand und hielt eine lange Rede über den allzeit freigebigen Bischof Bentsen und seine große Aufgabe als Gottes auserwählter Diener hier auf Erden. Die Rede gipfelte in der Erklärung, dass Bischof Bentsen Signor Odinos Dienst natürlich gern erwiderte und es als gegeben voraussetzte, dass Signor Odino Südnorden bis zum Mittag des Weihnachtsabends verlassen hatte.
Da Odin keine anderen Pläne hatte, als baldmöglichst zurück nach Smedieby und zu Rigmarole zu reisen, sah er kein Problem darin, sofort zu nicken und seine Zustimmung zu geben.
»Sobald Herrn Bramsentorpfs Formalitäten erledigt sind und die Luftverbindung mithilfe des Dienstes von Bischof Bentsen – dem ich wahrlich mehr als dankbar bin – etabliert ist, werde ich den
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