Odins Insel
Platz und machen Sie es sich bequem. Tun Sie so, als wären Sie zu Hause. Dort drüben steht Kaffee in der Kanne. In dem kleinen Schrank direkt vor Ihren Märchenaugen sind Tassen.« Der Fischer zeigte auf einen Schrank, der über einem kleinen Küchenbord an der Wand hing.
Sigbrit Holland schenkte sich eine Tasse dampfenden Kaffee ein, zog ihren Mantel aus und setzte sich auf eine schmale Holzbank in der Ecke.
»Jetzt können Sie erzählen.« Der Fischer Ambrosius lehnte sich zurück und sah sie erwartungsvoll an.
Er war nicht mehr jung, aber er war auch nicht so alt, wie Sigbrit Holland ihn sich vorgestellt hatte. Wieder trommelte sie mit den Fingern, dann nahm sie sich zusammen und begann zu erzählen.
»Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Ich weiß nicht, wo ich anfangen und wo ich aufhören soll. Es ist eine ziemlich merkwürdige Geschichte.« Sigbrit Holland trank einen Schluck Kaffee, setzte die Tasse ab, und dann erzählte sie dem Fischer Ambrosius, wie sie Odin an einem Abend vor gut einem Monat getroffen hatte, wie die Behörden den kleinen alten Mann auf die geschlossene Abteilung zwangseingewiesen hatten, wie sie sie nicht hatte überreden können, ihn zu entlassen, und schließlich den schwersten Teil, nämlich Odins eigene Erklärung. »Ich weiß, dass es schwer zu glauben ist, aber ich bin sicher, dass er die Wahrheit sagt, jedenfalls die Wahrheit, die er kennt.« Sigbrit Holland seufzte und schüttelte den Kopf. »Wenn ich ihn an dem Abend nur nicht ins Krankenhaus gebracht, sondern mit nach Hause genommen hätte. So wie es aussieht, bin ich schuld daran, dass er eingesperrt wurde und ich bin schuld, dass sein Pferd nicht behandelt wird.«
Der Fischer Ambrosius hatte Sigbrit Holland schweigend zugehört, während er ruhig seine Pfeife geraucht und von Zeit zu Zeit seine Tasse zum Mund geführt hatte.
»Auch wenn die Situation verfahren ist, ist sie nicht ganz verfahren«, war alles, was er jetzt sagte.
»Man hat mir gesagt, dass Sie die Insel kennen?«, versuchte Sigbrit Holland es nach einem Moment der Stille.
»Man sagt so manches.« Der Fischer Ambrosius sah ihr fragend in die Augen. »Hören Sie«, er wurde plötzlich ernst. »Was wir Ihnen jetzt erzählen, haben wir noch nie jemandem erzählt. Es ist wohl so, dass uns niemand geglaubt hätte, wenn wir es jemandem erzählt hätten, oder dass die wenigen, die gewusst hätten,
dass wir die Wahrheit sagen, dafür gesorgt hätten, dass wir schweigen. Fragen Sie uns nicht, warum. Es ist einfach so.« Der Fischer sah sich im Steuerhaus um, dann beugte er sich vor und fuhr in rauem Flüsterton fort: »Es gibt die Insel!«
»Wie bitte?«
»Ja.« Der Fischer Ambrosius nickte und richtete sich wieder auf.
»Und Sie kennen sie?«
»Ssst.« Er rutschte unruhig auf der Bank hin und her. »Ich kenne sie, und ich kenne sie nicht. Wir wissen, dass es sie gibt, wenn es das ist, was Sie meinen.«
»Ich verstehe nicht…« Sigbrit Holland schüttelte den Kopf.
»So wahr unser Name Ambrosius ist, so wahr wie wir Fischer sind und so wahr wie wir mehr als jeder andere in diesem Land jede Ecke der Meerenge besegelt haben – es gibt diese Insel!« Er zögerte einen Augenblick. »Es gibt die Insel, aber gleichzeitig gibt es sie auch nicht.« Er setzte die Tasse mit einer Heftigkeit auf die Untertasse, dass der Kaffee überschwappte.
»Ich verstehe nicht …«, wiederholte Sigbrit Holland.
»Holde Frau, holde Frau! Wie oft müssen wir Ihnen das sagen? Die Insel existiert, aber sie existiert nicht.«
Der Fischer klang böse. »Sie existiert nicht in dieser Welt, sage ich!«
»Es tut mir Leid.« Sigbrit Holland biss sich auf die Unterlippe, und eine leichte Röte färbte ihre Wangen.
»Schon gut, schon gut. Kein Grund zu weinen, holde Frau. Vielleicht ist es auch nicht so einfach. Aber hören Sie, was immer Sie jetzt hören, Sie haben es nicht von uns.«
»Nein, nein. Natürlich nicht. Ich werde niemandem etwas davon erzählen«, sagte Sigbrit Holland leise.
»Schwören Sie, dass Sie nichts sagen.«
Sigbrit Holland musste lächeln, aber der Fischer verzog keine Miene.
»Ich schwöre.« Plötzlich fühlte sich Sigbrit Holland von der Situation gefangen und fuhr mit ernster Stimme fort: »Ich schwöre bei Odins Namen und bei allem, was mir lieb ist, dass ich niemandem von dem erzählen werde, was Sie mir jetzt erzählen.
«
»Gut.« Der Fischer Ambrosius blies in seine Pfeife, und süßer blauer Tabakrauch breitete sich im Steuerhaus aus. »Im
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