Odo und Lupus 01 - Demetrias Rache
mitgeteilt, was wir auf meinen Vorschlag beschlossen hatten. Sie wusste, dass wir sie eines Mordes verdächtigten und nach Zeugen und Beweisen suchten. Ihr rascher Blick suchte zu erforschen, ob wir schon etwas erreicht hatten. Gleich wandte sie sich wieder ab, saß reglos da und sah auf ihre gefalteten Hände.
Auch Hauk war im Saal. Ich bemerkte ihn nicht gleich, er saß wieder etwas abseits. Als ich auf ihn aufmerksam wurde, neigte er den Kopf, wobei er sich um eine schmerzerfüllte Miene bemühte. Während ich betete und das Kreuz schlug, ließ ich meine verstohlenen Blicke zwischen Hauk und Frau Begga hin- und her wandern. Und ich begann zu begreifen, was Odo gemeint, wenn auch sehr grob formuliert hatte. Sich diese beiden als Paar vorzustellen …
Es waren auch die alten Verwandten da und die wohlhabenden Bauern aus dem Dorf hatten sich ebenfalls zur Totenwache eingefunden. Ein schweres Gemisch von Weihrauch, Harz und Verwesung stieg in die Nase. Noch immer entströmten gräuliche Töne den Mündern der Pilger und alten Frauen.
Gerade wollte ich selbst in die Klage einstimmen, als alle verstummten.
Ein hoher, klarer, heller Ton war plötzlich vernehmbar. Er kam von irgendwoher, aus der Tiefe herauf, und schien zum Himmel zu steigen. Wir lauschten verwundert. Der lang ausgehaltene erste Ton ging in ein feierliches Kyrie-eleison über, ein ergreifendes Klagelied. Man konnte glauben, einen Engel zu hören, wenn auch der irdische Urheber des wunderbaren Gesangs leicht zu erkennen war. Es war der gefangene Siegram, der im Untergeschoss des Saals neben den Schweineställen an eine Kette geschlossen war.
Wohl niemals wieder werde ich ein Kyrie so vollendet hören, mit solcher Inbrunst gesungen und unter so außergewöhnlichen Umständen! Der düstere dörfliche Saal verwandelte sich für ein paar Augenblicke in eine Basilika. Zwar dämpften die dicken Eichenbohlen den Gesang ein wenig, doch Siegrams Stimme war kräftig genug, sich durchzusetzen.
Alle hörten ergriffen zu. Als ich jetzt wieder zu Frau Begga hinsah, bemerkte ich ein Glitzern auf ihrem Gesicht. Aus ihren Augen, die eben noch kalt und prüfend geblickt hatten, flossen Tränen. Ihre Züge gewannen auf einmal Leben, ihre Wangen füllten sich mit Blut. Auch ihre Hände tasteten wieder unstet umher, zupften an ihrem Schleier, glätteten ihr Gewand. Es war die gleiche starke Erregung, die ich am Tag zuvor während des Gesangsvortrags bei ihr beobachtet hatte. Die sonst so kaltblütige, stolze Frau hatte Mühe, sich zu beherrschen. Siegrams Stimme schien eine Tür zu öffnen, hinter der sie nichts mehr verbergen konnte. Es war nicht die übertriebene, künstlich erzeugte, zur Schau gestellte Verzweiflung, die mich am Morgen eher befremdet hatte. Es war eine wahre Empfindung, eine leidenschaftliche Liebe, die aber nicht den Toten galt. So sehr meine Feder sich sträubt, dies niederzuschreiben: Der erhabene geistliche Gesang löste bei Frau Begga sehr diesseitige Gefühle aus, deren Ursprung ich zu ahnen begann.
Das Kyrie endete. Siegram schwieg. Ich war froh, dass er nicht von neuem begann, trotz meiner eigenen Ergriffenheit. Frau Begga wischte sich rasch die Tränen vom Gesicht und beruhigte sich. Sie schien sich jetzt selbst bewusst zu sein, etwas preisgegeben zu haben, was sie lieber verborgen hätte. Sie warf verstohlene Blicke um sich, von denen der längste mich traf. Ich bemerkte es, obwohl ich so tat, als sei ich in meine Andacht vertieft.
Niemand wagte nun, seine Stimme zu erheben. Wer wollte jetzt mit dem erbärmlichen Psalmodieren fortfahren? So hob ich zum zweiten Mal an, um ein schlichtes Gebet sprechen. Aber da zog mich jemand an der Kutte. Ich blickte mich um. Eine hakennasige Magd gab mir heftige Zeichen, ich solle mitkommen. Ich stieg hinter ihr die Freitreppe hinunter. Die Alte deutete auf eine plumpe Gestalt, die vor einem der kleinen Fenster des Untergeschosses im Grase kauerte. Ich konnte im Dunkeln nicht viel erkennen. War sie zusammengebrochen? Betete sie?
Ich ging hin und berührte die Gestalt. Sie hob heftig den Kopf und ich blickte in ein grobes, verwirrtes Gesicht. Es war die Magd Celsa. Als sie mich erkannte, fuhr sie erschrocken zurück. Sie streckte sogar schützend die Hände vor.
Ich sprach sie mit sanfter Stimme an. „Was hast du, Celsa? Warum fürchtest du dich vor mir?“
„Ihr seid es?“, stammelte sie.
„Warum liegst du hier auf dem Boden?“
„Ich bete. Damit Ihr ihn nicht ans Kreuz
Weitere Kostenlose Bücher