Odo und Lupus 04 - Die Witwe
jungen Leute sind nicht träge und müßig. Das könnte hier auch gefährlich werden. Hug!“ rief er. „Hug, komm her! Es sind Gäste da!“
Einer der jungen Männer, der in den Händen ein Bündel Lanzen trug, löste sich aus dem Haufen und kam näher. Es war ein hübscher, schlanker Bursche, der die gleiche kecke Stupsnase wie sein Onkel hatte. Wohl um seine Würde als Anführer zu bekräftigen, hatte er einen Helm aufgestülpt, unter dem rotblonde Locken hervorquollen.
„Heil!“ sagte er, nicht gerade freundlich.
„Das ist Herr Odo aus Franken mit seinem Gefolge“, erklärte Garibald.
„Ich sehe, ihr übt euch im Waffengebrauch“, sagte Odo, weil Hug ihm ungeniert ins Gesicht starrte und wohl auf eine Anrede wartete. „Etwas Besseres könnt ihr nicht tun. Der König braucht tüchtige Kriegsleute.“
Die Miene des Jünglings verzog sich zu einem verächtlichen Grinsen.
„Meint Ihr den Frankenkönig?“
„Welchen sonst?“ fragte Odo verblüfft.
„Ich glaube nicht, daß ich Lust habe, dem zu dienen.“
„Was redest du da?“ fuhr ihn Garibald an. „Überleg deine Worte!“
„Und wem würdest du dienen?“ fragte Odo.
„Niemand! Ich werde befehlen.“
„Ah, ich verstehe. Du duldest niemanden über dir. Nicht einmal den König.“
„Vielleicht werde ich selber König.“
„Neffe!“ sagte Herr Garibald tadelnd. Und an Odo gewandt: „Ein junger Mann, achtzehn Jahre alt. Er hat Träume.“
„Seid unbesorgt!“ sagte Hug mit lauter Stimme, damit es auch seine Freunde hören konnten. „Ich komme euch Franken nicht ins Gehege. Ich werde mein eigenes Reich erobern! Wir schließen einen Grenzvertrag ab und werden gut miteinander auskommen.“
„Nun, wenn es so ist, bin ich beruhigt“, entgegnete Odo. „Ich werde König Karl berichten, daß er bald einen neuen Nachbarn bekommt. Und wo?“
Dem Jüngling mißfiel der spöttische Ton, und er erwiderte gereizt:
„Ihr fragt, wo? Hinter der Saale! Dort, wo ihr Franken euch nicht hintraut!“
„Du sprichst vom Land der Sorben?“
„Wovon sonst?“ Sein Grinsen war jetzt böse und haßerfüllt. „Das dreckige Pack stört uns schon lange. Wenn wir erst genug Leute sind, schlagen wir los. Uns entgeht keiner, wir kriegen sie alle. Tot oder lebendig! Ihr glaubt es nicht? Sperrt die Augen auf!“
Er fuhr herum und schleuderte aus dem Stand eine Lanze auf eine der etwa vierzig Schritte entfernten Strohpuppen. Er traf sie, und sie fiel um. Die jungen Männer grölten Beifall.
Hug streckte Odo eine Lanze hin.
„Macht es nach!“
Mein Amtsgefährte zögerte einen Augenblick und schien zu überlegen, ob er sich mit diesem anmaßenden Jüngling in einen Wettbewerb einlassen sollte. Lauernde Blicke trafen ihn, schon wurde höhnisch gelacht. Schließlich nahm Odo die Lanze, zielte kurz und schleuderte sie. Auch er traf eine der Puppen, die umkippte.
„Gib mir auch eine!“ sagte Heiko und streckte den Arm nach einer Lanze aus. Unser waffengewandter Sachse verfehlte ebenfalls nicht, und Hug, den das ärgerte, suchte jetzt nach einem Ziel, mit dem er die beiden übertreffen konnte. Seine Blicke huschten umher, und plötzlich schwang er die Lanze hoch über seinen Kopf und warf sie durch das offene Tor auf den Wirtschaftshof, der voller Menschen und Tiere war. Er traf einen jungen Hund, der ein Ferkel jagte. Der Hund lag zuckend in seinem Blut.
„Genug!“ rief Garibald. „Das geht jetzt zu weit, Neffe!“
„Es war ein Sorbenhund!“ sagte Hug. Er wandte sich feixend ab und schlenderte zu seiner Horde zurück.
„Ihr müßt ihm verzeihen, meine Herren“, sagte Herr Garibald. „Ein junger Kerl, strotzt vor Kraft, weiß manchmal nicht, wohin damit. Auch die anderen sind brave Burschen. Vergessen nie, daß sie Thüringer und daß die da drüben von alters her unsere Feinde sind. Ab und zu machen sie einen Ausflug über die Saale. Wenn wir es nicht tun, tun es ja die anderen. In Grenzgebieten darf man nicht zimperlich sein. Man muß sich Achtung verschaffen … nur darauf kommt's an! Hug ist leider ein bißchen zu tollkühn, das ist es, was mir Sorgen bereitet. Ich habe Angst, daß ihm etwas zustößt. Mir selbst hat das Schicksal Söhne versagt, und so hänge ich an meinen Neffen. Seit kurzem bin ich ja auch ihr Muntwalt {5} . Sie haben ihren Vater verloren.“
Bei diesen Worten seufzte er tief. Ich fragte aus Höflichkeit:
„Ist er gestorben? An einer Krankheit?“
„Oh nein, nicht an einer Krankheit, Herr Lupus! Er wurde ermordet.
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